Ermittlungen des Staatsschutzes gegen die ‚Palästina Solidarität Aachen‘

17. November 2024 | Veröffentlicht von Markus Kirch , 3 Kommentare

Darf die Kraz dazu noch schreiben?

Laut einem Bericht der Aachener Zeitung vom 15.11. mit dem Titel „Relativierung des Holocausts: Das Bündnis Palästina Solidarität Aachen sorgt mit Instagram-Post für Entsetzen“ ermittelt der Staatsschutz in Aachen gegen die genanten Gruppen. Diese habe in einem Aufruf zu einer Demonstration am letzten Samstag ein Bild veröffentlicht, auf dem links Opfer des Holocaust zu sehen sind und rechts ein Massengrab das mutmaßlich aus Palästina im Jahre 2024 stammt. Dazu gaben die Veranstalter die Parole „Nie wieder ist jetzt für alle“ aus. Und genau dieses Bild hatten wir auch in der kraz neben den Bericht über die entsprechende Veranstaltung gestellt.
Für uns als kraz-Redaktion stellen sich jetzt Fragen:
Wie damit umgehen? Sollen wir uns wegducken – oder erklären wir mal von Grund auf, um was es uns geht?

Politische Einordnung der Situation in Gaza und der Diskussion darüber

a) Die Todesfälle in Gaza

Laut UN sind mehr als 70 % der über 43.000 verifizierten Getöteten in Gaza Frauen und Kinder. „Die UNO führt die hohe Zahl der getöteten Zivilisten darauf zurück, dass Israel Waffen mit großflächiger Wirkung in dicht besiedelten Gebieten einsetzt. Verirrte Geschosse bewaffneter Palästinensergruppen spielen dagegen eine sehr viel kleinere Rolle. UNO-Menschenrechtskommissar Türk beklagte, dass grundlegende Prinzipien des humanitären Völkerrechts nicht eingehalten würden.“ so schreibt der Deutschlandfunk. Auch die keineswegs als israelkritisch bekannte Tagesschau zitiert die UN-Sonderberichterstatterin für die palästinensischen Gebiete, Francesca Albanese mit den Worten „Das israelische Vorgehen zeige „Muster der Gewalt“, schrieb Albanese in einem Bericht mit dem Titel „Anatomie eines Völkermordes“. Militär und Regierung verstießen bewusst gegen das Kriegsrecht „in dem Versuch, die völkermörderische Gewalt gegen das palästinensische Volk zu legitimieren“. Hinweise auf einen Völkermord durch Israel in Gaza findet man im Internet sehr viele, und das nicht nur auf einschlägigen Seiten die für ihre Solidarität mit Israel bekannt sind sondern wie dargelegt auch im deutschen Mainstream.

b) Der Vorwurf: ‚Ritualmordlegende‘

Führt man sich diese Todesfälle vor Augen, so argumentiert das im Zeitungsbericht der AZ erwähnte (und anonyme…) „Bündnis gegen Antisemitismus Aachen“ vorsichtig ausgedrückt überhaupt nicht logisch stringent. Die Behauptung des Bündnisses, dass die ‚Students for Palastine‘ mit ihrem „Stoppt den Kindermord in Gaza“-Transparent die antisemitische Ritualmordlegende reaktualisieren, ist völlig absurd. Bei weit mehr als 10.000 toten Kindern in Gaza ist es schon bizarr auf diejenigen zu schimpfen die ein Ende der Morde an Kindern fordern und ihnen eine „Reaktivierung einer Ritualmordlegende“ zu unterstellen, dabei aber mit keinem Argument auf die vielen getöteten Kinder einzugehen und dazu überhaupt keine Stellung zu beziehen.
Wenn jemand bei uns in Deutschland ein Ende von Verbrechen fordert, die Mitarbeiter der UN festgestellt haben, muss er also mit Ermittlungen des Staatsschutzes gegen sich rechnen oder was?

c) Der Vorwurf: ‚Vergleiche mit dem Holocaust‘

Außerdem sind wir ein Land, das sich den Ausspruch „Nie wieder Faschismus“ jahrzehntelang quasi als Leitspruch und Teil der eigenen Identität auf die Fahnen geschrieben hat. Das ist wichtig und richtig und wird von Seiten der ganzen kraz-Redaktion ausdrücklich unterstützt.
In letzter Zeit hören wir nun in unserem Land immer wieder Vorwürfe an Einzelpersonen oder Organisationen, diese würden den Holocaust relativieren und seien antisemitisch, weil sie andere Verbrechen mit dem Holocaust vergleichen. Das ist eine problematische Sichtweise, wenn man den Ausspruch „Nie wieder“ ernst nimmt. Denn wie soll man etwas verhindern, das wie der Holocaust nicht plötzlich entsteht sondern sich über Jahre anbahnt, wenn man nichts mit dem Holocaust vergleichen darf, um ihn NICHT zu relativieren?
Die Möglichkeit den Holocaust zu verhindern bestand vermutlich bis in die Anfangsjahre von Hitlers Herrschaft oder sogar noch vor der Machtergreifung. Aber wer sich den Nazis ab 1940 in Deutschland entgegen stellte, riskierte auf jeden Fall sein eigenes Leben. „Wehret den Anfängen!“ ist ein geflügelter Ausspruch, wenn es um die Warnung vor gefährlichen politischen Entwicklungen geht.
Nimmt man auch diesen ernst, so ist die logische Schlussfolgerung eben genau anders herum, dass nämlich der ständige Vergleich von allen seltsamen politischen Entwicklungen eine der wichtigsten Bürgerpflichten ist, genau um diesen Irrsinn zu stoppen, ehe dieser eine Dynamik entwickeln, die dann niemand mehr beherrschen kann. Doch genau diese Vergleiche führen bei uns seit einiger Zeit regelmäßig zum Vorwurf des ‚Antisemitismus‘.

Alle Menschen sind gleich an Rechten !

Oder waren beide Sprüche, sowohl „Nie wieder“ als auch „Wehret den Anfängen“ stets immer nur auf ein bestimmtes Volk/Nation bezogen und haben nie für alle Volker und Gruppen von Menschen gegolten? Falls dem so ist, dann ist das am Autor dieses Artikels wirklich vorüber gegangen, obwohl er seit mehr als 40 Jahren in Deutschland lebt.
Und es wäre auch entsetzlich wenn wir nach den Erfahrungen des 2 Weltkrieges nicht auf dem Standpunkt stünden, JEGLICHE Verbrechen dieser Art an ALLEN Gruppen von Menschen unbedingt verhindern zu wollen. Und wenn wir doch auf diesem Standpunkt stehen, wenn also diese Aussprüche für alle Menschen gelten sollen, dann sind regelmäßige Vergleiche sogar eigentlich oberste Bürgerpflicht!

Ermittlungen des Staatsschutzes gegen die Students for Palastine

Im besagten Artikel der Aachener Zeitung wird den oben genannten, palästinensischen Gruppen nun unterstellt, den Holocaust zu verharmlosen und somit antisemitische Ressentiments zu verbreiten, weil sie genau das tun, was – wie oben dargelegt – eigentlich dazu beitragen könnte, Massenmorde egal welcher Art und an egal an wem zu verhindern.
Auf der besagten Demonstration gab es keinerlei Konflikte, keinerlei antisemitische Parolen oder Transparente, sondern es war das Gegenteil: Immer wieder wurde betont, dass sich der Protest gegen das Sterben von Menschen wendet. Gegen die Ermordungen während der Reichspogromnacht und gegen das Töten im Holocaust.

Das Bild des Anstoßes …

Auch ein Blick auf das Bild mit dem die Demonstration beworben wurde, löst zumindest beim Autor dieses Textes den Eindruck aus, dass die Veranstalter ganz klar den Holocaust UND den Mord an Zivilisten in Gaza ablehnen.
Aber die Verhältnisse sind heutzutage wohl anders. Der Staatsschutz ermittelt nun wegen Antisemitismus gegen Personen, die sich niemals explizit antisemitisch geäußert haben!

Fazit

Für Kritiker am israelischen Vorgehen in Gaza wird die Luft dünn. Es bedarf mittlerweile keiner konkreten Äußerung mehr gegen Juden oder deren Religion, auch nicht mehr der Ablehnung der Existenz des Staates Israel, um Ärger mit der Polizei/Justiz zu bekommen. Kritik an Israel oder Hinweise auf Völkermord durch Israel scheinen dafür schon völlig auszureichen.

Das verunsichert viele Menschen und auch wir in der Redaktion sind verunsichert.

Dürfen wir, wie oben in diesem Artikel geschehen, Informationen aus Deutschlandfunk und Tagesschau überhaupt noch zitieren – und dann direkt auch noch ZWEI in einem Artikel?
Wie ‚dürfen‘ wir kommunizieren, dass wir der Meinung sind, dass die aktuelle rechtsradikale Regierung Israels einen Völkermord begeht ohne uns strafbar zu machen?

Hilft es uns, wenn auch Mitarbeiter in der UN das so sehen?

Darf man auf die Zwangs-Umsiedlung der Palästinenser aus dem nördlichen Gazastreifen hinweisen oder ist das antisemitisch, weil man Israel damit ja eines Kriegsverbrechens beschuldigt?
Darf man denken, dass es nicht OK ist, dass Deutschland Israel bedingungslos dabei unterstützt, das israelische Herrschaftsgebiet in Palästina und anderen benachbarten Ländern seit nunmehr fast 80 Jahren und auch gerade jetzt immer weiter auszudehnen. Macht Deutschland das um die deutsche Schuld am Holocaust wieder gut zu machen? Sollen also die Palästinenser diese deutsche Schuld begleichen?

Viele Fragen …

Und auch dieser Artikel hier ist uns nicht leicht gefallen. Wir wissen nicht, welche Konsequenzen er haben wird. In Aachen gibt es genügend Menschen mit ideologisch und emotional aufgeladenen verdrehten Weltbildern die es gerne sehen würden, wenn die kraz beschädigt und juristisch belangt werden würde.

Epilog

Und wer glaubt wir übertreiben oder sind einfach ängstlich und paranoid geworden der möge sich diesen Fall von Gesinnungsjustiz einmal ansehen, über den Russia Today gerade aktuell berichtet:
https://freedert.online/inland/226005-schwachkopf-ermittlungen-anzeige-kam-von/

Der gleiche Sachverhalt wird auch in den Nachdenkseiten beschrieben ..

Leser haben 3 Kommentare hinterlassen.

  • Hubert hat kommentiert am

    Angesichts der oben im Epilog beschriebenen Vorgehensweise kann man der Kraz-Redaktion wohl nur empfehlen, schonmal den Wecker auf Viertel vor 6 zu stellen.;-)

    Ein weiteres Beispiel für eklatante Ungleichbehandlung und Einengung des Meinungskorridors habe ich kürzlich in folgendem Overton-Artikel beschrieben: https://overton-magazin.de/kommentar/gesellschaft-kommentar/ein-us-soldat-ist-ein-us-soldat-ist-ein-us-soldat/

    Letztlich läuft es immer darauf hinaus, dass eine Person, eine Institution oder eine Nation von sich selbst glaubt, etwas besseres zu sein als alle anderen, wie z.B. beim „american exceptionalism“.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Amerikanischer_Exzeptionalismus
    „Wegen ihrer Einzigartigkeit seien die USA an völkerrechtliche Vereinbarungen grundsätzlich nur insoweit gebunden, wie ihnen dies nützt…
    Einen Weltfrieden könne es nur geben, wenn die USA die ganze Welt beherrschen…“

    Im Falle Israels ist zwar der militärische Machtanspruch regional auf palästinensische und libanesische Gebiete begrenzt, aber der Anspruch auf moralische Überlegenheit durch seine historische Opferrolle ist ebenso global und gerade hierzulande aus gutem Grund besonders ausgeprägt. Nach dem Highlander-Motto „Es kann nur einen geben“ müssen alle anderen Opfer relativiert und marginalisiert werden, um die eigene Stellung als Opfer-Weltmacht Nr.1 nicht zu gefährden, und gerade für grüne Moralapostel, die schon den amerikanischen Exzeptionalismus komplett in ihre politische Ideologie integriert haben, scheint es völlig undenkbar oder jenseits ihres geistigen Fassungsvermögens zu liegen, dass historische Opfer heute zu Tätern geworden sind, bzw. um korrekt zu sein: die sich eine Regierung gewählt haben, die zum Täter eines genozidalen Verbrechens geworden ist.

  • Hubert hat kommentiert am

    Teil 2:

    Die Erkenntnisse der Psychologin Alice Miller scheinen sich nicht nur auf Individuen, sondern auch auf Nationen und deren Bevölkerungen übertragen zu lassen:
    „Denn jedes Kind lernt durch Nachahmung. Sein Körper lernt nicht das, was wir ihm mit Worten beibringen wollten, sondern das, was dieser Körper erfahren hat. Daher lernt ein geschlagenes, verletztes Kind zu schlagen und zu verletzen, während das beschützte und respektierte Kind lernt, Schwächere zu respektieren und zu beschützen. Weil es nur diese Erfahrung kennt.“

    Wann lernen wir endlich, aus diesem in unzähligen Varianten repetierten Teufelskreis auszubrechen und uns zu einer Gesellschaft zu entwickeln, die die Bezeichnung „zivilisiert“ auch wirklich verdient?
    Im Sinne der Psychologie geht das nur, wenn wir unsere negativen Seiten aus dem Dunkel des Unbewussten hervorholen, um sie bewusst analysieren, verarbeiten und letztlich überwinden zu können – also so ziemlich genau das Gegenteil der Denk- und Sprachverbote unserer grünen, sich in ihrer eigenen Gutmenschlichkeit suhlenden Schwachköpfe!

    (Wer sich nach dem Lesen meines Kommentars bemüßigt fühlt, mich zu beschimpfen und zu beleidigen: Bitte, tut Euch keinen Zwang an!
    Und lasst ruhig so richtig die Sau raus, denn so ein Begriff wie Schwachkopf ist – um es mit einem jüdischen Wort zu benennen – nun wirklich nur Tinnef!)

  • Klaus hat kommentiert am

    Das „Vergleichen“ verschiedener Dinge ist nötig, um neben Ähnlichkeiten auch die Unterschiede zu erkennen. Dies mit „Gleich-Setzen“ zu verwechseln ist eine Dummheit, die im politischen Kampf oft als Finte verwendete wird.

Bitte bleibe mit Deinen Kommentaren sachlich und respektvoll.

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