Zensur-light in Aachen !

13. November 2019 | Veröffentlicht von , Keine Kommentare

Vorwurf der BDS-Nähe genügt zum Entzug eines Veranstaltungsraumes!

Die Auseinandersetzungen um die BDS-Bewegung [1] und der Vorwurf, diese und alle irgendwie daran Beteiligten seien ‚antisemitisch‘, dürfte politisch interessierten Menschen bekannt sein. Jetzt hat diese Kontroverse auch Aachen erreicht:

  • Zeitweilig gab es die Planung im Aachener Stadtrat, diesen Anti-BDS-Beschluss auch für Aachen zu verabschieden.
  • Im November 2019 gab es „wegen BDS“ eine Preisgeld- und Raumsperre-Affäre um den ‚Aachener Kunstpreises‘, der letztendlich dann doch an den libanesisch-amerikanischen Künstler Walid Raad verliehen wurde.

(Leserbrief dazu weiter unten)

Wir glauben, dass es zum Thema „BDS“ sicher noch weitere Kontroversen in Aachen geben wird. Deshalb dokumentieren wir die bisherigen Ereignisse in der kraz, damit sich bei Bedarf jedeR einen schnellen Überblick der bisherigen Ereignisse verschaffen kann.

Bisher kein formaler Anti-BDS-Beschluss in Aachen

Im Bundestag und im NRW-Landtag gab es im Sommer 2019 Beschlüsse gegen die BDS-Bewegung und alle irgendwie damit verbundenen Personen und Gruppen. Dieser Beschluss war formal keine POLITISCHE Zensur im engeren Sinn, sondern betraf ausschließlich Dinge wie öffentliche Gelder für Gruppen oder Veranstaltungen, Verhinderung des Zugangs zu öffentlichen Veranstaltungsräumen, keine Vergabe oder Verlängerung von Anstellungsverhältnissen und Förderungen, usw.. Letztlich war das also eine Zensur-light durch ökonomische – und nicht durch politisch-juristische Mittel.

Es gab dann im Rat der Stadt Aachen eine Beschlussvorlage, diesen Bundes- und Länderbeschluss auch so in Aachen am 18. September 2019 zu verabschieden. Dieser Vorschlag wurde wieder von der Tagesordnung genommen mit dem Argument, dass das nicht mehr nötig wäre; Aachen brauche keine eigene Anti-BDS-Resolution, schließlich gäbe es ja auf Landesebene eine und sogar auf Bundesebene.

Trotzdem: Raum- und Geldsperre gegen den ‚Aachener Kunstpreis 2019‘ !

Der ‚Aachener Kunstpreises‘ sollte in 10/2019 an den libanesisch-amerikanischen Künstler Walid Raad vergeben werden. Das eine Ehrung auch ganz aussehen könnte, war parallel in Amsterdam zu besichtigen, wo zum gleichen Zeitpunkt im Stedelijk Museum Amsterdam eine sehr umfangreich Ausstellung mit seinen Werken stattfand.

Der Preis wird traditionell zu gleichen Teilen von der Stadt Aachen und dem ‚Verein der Freunde des Ludwig Forums‘ vergeben. Und ebenso traditionell erfolgt die Preisverleihung immer im ‚Ludwig Forum für Internationale Kunst‘ (LuFo) (Besitzer ist die Stadt Aachen)

Im Vorfeld wurden dann dem international renommierten Künstler Walid Raad Bezüge zum BDS unterstellt. Es gabt Auseinandersetzungen, ob Walid Raad tatsächlich BDS-Anhänger sei oder nicht und ob er ggf. selber sogar antisemitisch sei. Beide Unterstellungen blieben letztlich unbewiesen, standen aber dauerhaft im Raum.

Trotz der Vorwürfe blieb der ‚Verein der Freunde des Ludwig Forums‘ als Stifter des ‚Aachener Kunstpreises‘ bei der Auszeichnung DIESER Person. Das Hauptargument des Vereins ist, dass es sich nicht um einen politischen Preis, sondern um einen Kunstpreis handelt und dass daher die Bezüge zum BDS nicht nachgewiesen werden konnten. (Ob das ein Kunstgriff des Vereins war, um aus dem Dilemma herauszukommen, sei dahingestellt)

Faktisch: Zensur-light

  • Die Geldsperre: Die Stadt Aachen zieht sich zurück, d.h. śie verweigert die 5.000 € Preisgeld.
  • Die Raumsperre: Die Stadt Aachen sperrt das LuFo für die Preisverleihung.
    Aus Hintergrundgesprächen war zu erfahren, dass den Leiter*innen der Kunstmuseen empfohlen worden war, der Preisverleihung bitteschön fernzubleiben.

Materielles Ergebnis dieser Zensur-light

  • Der Verein muss seinen eigenen Geldanteil verdoppeln.
  • Der Verein organisiert einen neuen (deutlich weniger feierlichen) Raum im nahegelegenen Hotel „IBIS“.
  • Dort findet die Preisverleihung vor etwa 50 Zuschauern statt, dabei sind (aus Protest?) auch ca. 10 Mitarbeiter des Ludwig Forums.

Publizistisches Ergebnis dieser Zensur-light
In der Aachener Presse wird der Rückzug der Stadt nicht als Zensur-light konnotiert!
Trotzdem hätte sogar noch schlimmer kommen können … siehe [2]

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Ein Kommentar von ws
Ein „Boykott“ ist eine klassische, politische Aktionsform. Beispielsweise wurde ein ähnlicher „Boykott“ bis 1992 gegen die Apartheidspolitik in Südafrika propagiert. Ob „Boykott“ ein wirklich sinnvolles Mittel ist, das sei dahingestellt
Wenn sich jetzt der BDS gegen den Staat Israel (und seine Besatzungs- und Siedlungspolitik) wendet, dann ist das nicht antisemitisch. Und selbst wenn sich an der BDS-Bewegung – wie in anderen politischen Bewegungen vermutlich auch – antisemitische Personen beteiligen, so macht auch das die BDS noch nicht „antisemitisch“.
Aber: Gleichzeitig gilt auch, dass fortschrittlich denkende Menschen, die in einem Deutschland (mit einer sehr „speziellen“ Vergangenheit) politisch agieren, diese Vergangenheit auch immer mitdenken müssen! Und das bedeutet, dass sich für Deutsche – im Gegensatz zu Bürgern anderer Länder mit anderer Vergangenheit – eine Beteiligung an eher BDS verbieten sollte.

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Anmerkungen

[1] BDS (Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen)

EIN paar Schuhe für zwei beinamputierte Palästinenser

ist eine politische Bewegung, die sich gegen die Besatzungspolitik von Israel in den besetzten palästinensischen Gebieten richtet. Ursprünglich ging es nur um den Boykott von Produkte aus den (israelischen) Settlements in den besetzten palästinensischen Gebieten.(Ganz aktuelle (12.11.) verlangt auch der Europäische Gerichtshof, dass Produkte aus den Settlements eindeutig als „Sied­ler­waren“ gekenn­zeichnet werden müssen!)
Später wurde BDS auf ganzen Staat Israel ausgeweitete. (siehe Wikipediia )

[2] Zwei Wochen vor der Aachener Affaire gab es ein ähnliches Ereignis in Dortmund.
Dort hatte die Jury für den „Nelly-Sachs“-Preis der Stadt Dortmund ursprüngliche die Auszeichnung an die britisch-pakistanische Autorin Kamila Shamsie verliehen. Dann hatte die gleiche Jury diese Entscheidung zurückgezogen – und somit den Preis wieder aberkannt. Auch dort lautete der Vorwurf, Kamila Shamsie habe sich an Boykott-Aufrufen gegen Israel beteiligt und setze sich für die BDS-Bewegung ein.
Aber im Gegensatz zu Aachen gab es dort leider dann KEINE Preisverleihung und KEINEN Ersatzraum – sondern die Verleihung fiel komplett aus!
Der ‚Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller‘ hatte die Aberkennung des Preises durch die Jury unterstützt! Im Gegensatz dazu kritisierten das mehr als hundert Kulturschaffende in der Literaturzeitschrift „London Review of Books“ mit dem Argument, so werde die freie Meinungsäußerung untergraben.

Leserbrief

Zu diesem Artikel „Zensur-light in Aachen!“ erreichte uns am 14.11. folgender Leserbrief von Ansgar Klein:

Gut finde ich … Weniger gut finde ich einige Passagen, was ich im Folgenden erläutern möchte:
1. Die kraz schreibt „Dieser Beschluss war zwar keine POLITISCHE Zensur im engen Sinn, sondern betraf ausschließlich Dinge wie öffentliche Gelder für Gruppen oder Veranstaltungen, … usw.. Letztlich war das also eine Zensur-light durch ökonomische – und nicht durch politisch-juristische Mittel.
Der Anti-BDS-Beschluss des Bundestages [„Der BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen“, Bundestagsbeschluss vom 15.5. 2019] ist sehr wohl eine „POLITISCHE Zensur“, denn in diesem Bundestagsbeschluss heißt es u. a.: „Die Argumentationsmuster und Methoden der BDS-Bewegung sind antisemitisch.“ Und: „Der Deutsche Bundestag beschließt, … erneut jeder Form des Antisemitismus schon im Entstehen in aller Konsequenz entschlossen entgegenzutreten und die BDS-Kampagne und den Aufruf zum Boykott von israelischen Waren oder Unternehmen sowie von israelischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Künstlerinnen und Künstlern oder Sportlerinnen und Sportlern zu verurteilen;“
Hier wird die BDS-Bewegung klar als ‚antisemitisch‘ bezeichnet und „verurteilt“. Das ist Zensur, denn nach der neuen ‚Antisemitismus-Definition‘, in der „der Staat Israel … als jüdisches Kollektiv verstanden wird“ und die auch in diesem Bundestagsbeschluss herangezogen wird, ist man ein ‚Antisemit‘, sobald man sich positiv zur BDS-Bewegung äußert, da die BDS-Bewegung den Staat Israel wegen seiner völkerrechtswidrigen Besatzungspolitik anprangert.
2. Im Kommentar der kraz heißt es zum Schluss: „Gleichzeitig gilt auch, dass fortschrittlich denkende Menschen, die in einem Deutschland (mit einer sehr „speziellen“ Vergangenheit) politisch agieren, diese Vergangenheit auch immer mitdenken müssen! Und das bedeutet, dass sich für Deutsche – im Gegensatz zu Bürgern anderer Länder mit anderer Vergangenheit – eine Beteiligung an BDS eher verbieten sollte.“
Ich halte es nicht für ‚fortschrittlich‘, „dass sich für Deutsche eine Beteiligung an BDS eher verbieten sollte.“ im Gegenteil: Deutschland versteht sich als enger Partner von Israel und ehrliche Partnerschaft darf Kritik am Verhalten des Partners nicht ausschließen; insbesondere ist Kritik notwendig, wenn der Partner völkerrechtswidrig handelt. Das ist im Fall der Besetzung palästinensischen Territoriums durch Israel und der unmenschlichen Behandlung palästinensischer Menschen durch israelisches Militär, das vor Mord nicht zurückschreckt, unbedingt erforderlich!

Anmerkung der kraz zu diesem Leserbrief

zu 1.) Herr Klein verwendet den Begriff „Politische Zensur“ unreflektiert. „Politische Zensur“ ist eine juristische und keine moralische Kategorie. Der BDS-Beschluss ist sicher eine politische Richtungsentscheidung, hat aber keine juristischen Konsequenzen! Hier liegt ein großer Unterschied – wenn auch für die Betroffenen ebenfalls schmerzlich und für die herrschende Klasse auch so wirkungsvoll! Wirkliche „Zensur“ sieht aber deutlich anders aus, wie wir aus faschistisch-totalitären Regimen wissen.
Zu 2.) Herr Klein kann (oder will) nicht auseinanderhalten, dass je nach unterschiedlichen geschichtlichen Hintergründen auch unterschiedliche METHODEN der Kritik anzuwenden sind. Für die kraz ist die Verknüpfung zwischen deutscher und israelischer Geschichte äußerst sensibel. Wir lehnen für uns das Engagement bei BDS ab, weil uns dann die Nähe zu der alten NAZI-Parole „Kauft nicht bei Juden“ einfach zu dicht ist. Für Menschen aus anderen Ländern mit anderer politischer Vergangenheit mag das durchaus anders sein.
Dass Herr Klein das seinerseits anders sieht, ist sein gutes Recht, muss aber so nicht von anderen (auch nicht der kraz) übernommen werden.

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