Unrechtmäßige Verfügungen der Aachener Polizei gegen Antifaschisten
18. September 2012 | Veröffentlicht von VVN/BdA-Aachen / ws, Keine KommentareHeute musste das Oberverwaltungsgericht Münster in einer Berufungsverhandlung klären, wie Auflagen der Polizeibehörde, die das Recht auf freie Meinungsäußerung diskriminieren, zu werten sind.
Das Gericht hat die Rechtsauffassung der Polizei und des Verwaltungsgerichtes Aachen vollumfänglich verworfen und dem Kläger Recht gegeben.
Demnach ist es sehr wohl zulässig, sich mit symbolischen, szenischen und mimischen Einüben von Blockaden von Naziveranstaltungen in die gesellschaftlichen Debatten um das Auftreten von Neonazis einzumischen. Die vom Kläger Udo Beitzel beanstandeten Auflagen der Polizei sind sämtlich zurückgewiesen, Revision gegen das Urteil ist nicht zugelassen, alle Kosten aller bisherigen Verfahren trägt das Land NRW.
Im Mittelpunkt standen die Erfahrungen der letzten Jahre: Zum Schutz des Rechts auf freie Meinungsäußerung habe das Bundesverfassungsgericht mehr als einmal „die Straße freigemacht für Neonazis“, so der Präsident des 5. Senats des OVG Münster. In dem vorliegenden Fall müsse dieses Recht auch Bürgern zugebilligt werden, die in einem als symbolisch zu betrachtenden Blockadetraining das Recht beanspruchen, in der Öffentlichkeit gegen Neonazis aufzutreten. Für den Beklagten führte Regierungs-Oberamtsrat Nürnberger aus, das Urteil tue ihm im Herzen nicht weh. Tatsächlich kreisten seine Ausführungen aber ausschließlich um die Unterstellung, Antifaschisten neigen prinzipiell und aufgrund ihrer Nähe zu „Autonomen“ zu Gewalt, womit er Grundrechte einschränkende Auflagen begründete.
Die Vorgeschichte dieses Urteils
Im April 2011 waren in Stolberg zwei Naziaufmärsche angesagt. Ein breites regionales Bündnis hatte seinerzeit darauf verwiesen, dass aus der Naziszene zahlreiche Übergriffe, Körperverletzungen und Angriffe auf Orte, in denen Nazis GegnerInnen vermuten, stattgefunden hatten. Und zwei Aachener Neonazis waren damals der Vorbereitung von Sprengstoffanschlägen angeklagt, die zwischenzeitlich verurteilt wurden. Angesichts der realen Bedrohungslage durch Neonazis rief das Bündnis dazu auf, die Naziveranstaltungen zu blockieren: Stolberg 2011 – Den Naziaufmarsch gemeinsam blockieren!
Für dieses „Bündnis gegen die Naziaufmärsche 2011 in Stolberg (Rhld.)“ hatte Udo Beitzel (VVN Aachen/Stolberg) für den 5. Februar 2011 ein Blockadetraining in Stolberg angemeldet, das die Polizei als Ordnungsbehörde mit diskriminierenden Auflagen belegt hatte. Das „Blockadetraining“ als symbolischer Akt de Meinungsäußerung durfte nicht stattfinden, obwohl von diesem Training niemandem Gefahr drohte und ein Eingriff in die Grundrechte Dritter nicht zu befürchten war. Die Naziaufmärsche sollten ja erst 2 Monate später stattfinden!
Zugleich verpflichtete die Polizei den Versammlungsleiter Udo Beitzel, Ordner zur Durchsetzung dieser Auflagen einzusetzen und deren Personalien und die der anderen Beteiligten vorab der Polizei zu melden. Mit anderen Worten: Die Polizei zensierte die öffentliche Veranstaltung und wollte die Zensur durch die Veranstalter selbst durchsetzen lassen.
Damit ist die Polizei in Münster nun krachend gescheitert! Die Unterstellung der Polizei, dem Blockadetraining folge eine Straftat, ist unzulässig. Die Polizei könne frühestens eingreifen, wenn in einer „Blockadeaktion“ Rechtsbrüche feststellbar seien.
Erstens dürfen Blockadetrainings als Akt der szenischen und mimischen Meinungsäußerung durch Ordnungsbehörden nicht verhindert werden. Zweitens müssen Veranstalter Ordner nicht benennen, um behördliche Auflagen durchzusetzen, das ist alleine Aufgabe der Polizei. Und drittens hat die Polizei kein Recht, die Personalien von Rednern oder Ordnern prophylaktisch vor dem Vorliegen einer vermuteten Straftat zu verlangen. Dieses Vorgehen ist einschüchternd und beeinträchtigt das Recht auf freie Meinungsäußerung.
Der Kläger, Udo Beitzel, und seine Mitstreiter zeigten sich von diesem Urteil hocherfreut. Aber sie wiesen darauf hin, dass mit der Anerkennung von Blockadetrainings als öffentliches Bekennen und Aufrufen zu antifaschistischem Engagement Blockaden von Naziveranstaltungen selbst immer noch juristisch umstritten sind. Sie bleiben bei Ihrer Haltung, das breites couragiertes gesellschaftliches Handeln erforderlich bleibt, wenn der Einfluss von Neonazis gemindert werden soll. Dieses Handeln schließt auch friedliche Blockaden von genehmigten Neonaziveranstaltungen ein, denn auch diese unterliegen dem grundgesetzlichen Schutz auf freie Meinungsäußerung.
Die nicht enden wollenden skandalösen Enthüllungen um die Mordbande des NSU bestärken Udo Beitzel und die anderen: Die Repressionsorgane des Staates – Geheimdienste, Polizei, Bundeswehr – haben eine strukturelle Unfähigkeit an den Tag gelegt, Nazis als Gefährdung der Bevölkerung zu erkennen und zu bekämpfen. Als Gefangene ihrer eigenen Ideologie des „Extremismus“ konnten sie die besondere Gefährlichkeit von Nazis nicht erkennen. Einzig auf Antifaschistinnen und Antifaschisten war in den letzten Jahren Verlass, wenn es um die Zurückdrängung des Einflusses von Nazis ging. Ein Erfahrung, die die Kläger auch in Aachen gemacht haben. Während die Polizei die erwähnten Naziaufmärsche genehmigte und harmlose Blockadetrainings faktisch verbot, konnte sich die „Kameradschaft Aachener Land (KAL)“ der Nazis zu einer veritablen Bedrohung entwickeln. Erst der Landesinnenminister hat dem einen ersten Riegel vorgeschoben, als er die Aachener Anfang des Jahres gezwungen hat, eine Sonderkommission „Rechts motivierte Kriminalität REMOK“ zu gründen und ihren Sitz sicherheitshalber nicht in das Aachener Polizeipräsidium sondern nach Stolberg verlegte. Das unlängst erfolgte Verbot der KAL hat nachträglich die politische und moralische Auffassung des Bündnisses „Stolberg 2011 – Den Naziaufmarsch gemeinsam blockieren!“ bestätigt
Wie geht’s weiter?
Für den April 2013 sind bereits erneut Kundgebungen aus dem Umfeld der verbotenen KAL angemeldet. Udo Beitzel ist zuversichtlich und glaubt, dass die Polizei und ihr Präsident Klaus Oelze aus den Schlappen der letzten Monate gelernt haben und diesen Kundgebungen keinen Schutz mehr gewähren werden.
Der Weg von den Auflagen bis hin zur Zurückweisung durch das OVG Münster war weit. Udo Beitzel bedankt sich bei allen Mitstreiterinnen und Mitstreitern und seinen Anwälten für ihre moralische und finanzielle Unterstützung, ohne die er die Kraft hin zu diesem wegweisenden Urteil kaum hätte aufbringen können.
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