Unfreundliches Verhalten des Job-Centers Aachen gegenüber ihren „Kunden“
16. Juni 2018 | Veröffentlicht von Norbert Krzikalla /ws, Keine KommentareWarum gibt es im reichen Deutschland Bettler auf der Straße?
Schon länger frage ich mich, warum in Deutschland Bettler auf der Straße sitzen und um ein wenig Kleingeld betteln, um sich etwas zu essen kaufen zu können und auf der Straße übernachten, obwohl unser Sozialstaat doch jedem Bedürftigen, der nicht arbeitsfähig ist, seinen Mindestbedarf für den Lebensunterhalt inkl. Miete und Heizkosten über Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe garantiert. Nach einigen Erfahrungen mit den für diese Sozialleistungen zuständigen Ämtern glaube ich die Erklärung gefunden zu haben:
Hier ein Erfahrungsbericht über Bürokratie und kundenunfreundliches Verhalten des Job-Centers Aachen am Beispiel an meinem Freund Herbert [1]
Er hatte vor 4 Jahren einen schweren Verkehrsunfall. Er erlitt ein schweres Schädel-Hirn-Trauma, von dem er sich relativ gut erholt hat. Aber er hat bleibende Gehirnschäden zurückbehalten, die dazu führten dass er bis heute nicht wieder (als Musiker und Musiktherapeut) arbeitsfähig ist und dass er nicht in der Lage ist Anträge nach SGB II zu stellen und Schreiben der zuständigen Ämter überhaupt zu verstehen. Erschwerend kam hinzu dass Deutsch nicht seine Muttersprache ist. Also habe ich für ihn die ihm zustehenden Leistungen beim Jobcenter beantragt und mit ihm gemeinsam die erforderlichen Unterlagen beschafft bzw. zusammen gesucht.
Unverständliche Papiere des Jobcenter
Ich habe studiert und promoviert. Trotzdem muss ich so manchen Brief des Jobcenters mehrmals sehr langsam lesen, um zu verstehen um was es geht. Gelegentlich scheitere ich daran und muss telefonisch rückfragen [2]. In diesen Fällen kommt man in eine Warteschleife. Wenn man Glück hat, hat man nach einigen Minuten einen Mitarbeiter aus dem Call-Center des Jobcenters am Telefon, dem man seine „BG-Nummer“ nennt. Dann kann er im Computer nachsehen, was dort zu dem Antragsteller dokumentiert ist. Er kennt den Fall nicht und muss sich nun kurzfristig in den Fall hineindenken. Den jeweiligen Sachbearbeiter, der das letzte Schreiben versandt hat, bekommt man i. d. R. nicht ans Telefon. Manchmal lassen sich die Rückfragen dann klären, manchmal auch nicht. Dann wird man aufgefordert, einen schriftlichen Widerspruch zu formulieren und an das Job-Center zu schicken.
Bewusst komplizierte Texte in Formularen?
Menschen, die auf finanzielle Hilfen des Staates angewiesen sind, sind i. d. R. nicht hoch gebildet und bedienen sich keiner komplizierten Ausdrucksweise. Manche können nicht einmal sicher lesen und schreiben. Wenn diese Menschen keinen Angehörigen oder guten Freund haben, der die ganze Kommunikation mit den Ämtern inkl. Widerspruchsschreiben und mehrmalige Beantwortung immer derselben Fragen, übernimmt, haben sie keine Chance, die ihnen gesetzlich zustehenden Leistungen tatsächlich zu erhalten. Die Praxis der Ämter scheint nämlich nicht zu sein, den Kunden möglichst gut zu bedienen und ihm die Antragstellung zu erleichtern, sondern genau das Gegenteil: Es wird dem Kunden so schwer wie möglich gemacht, sein Recht zu bekommen. Die Grundeinstellung, die mit jedem Schreiben des Jobcenters vermittelt wird, ist: „Du willst hier Geld des Staates beanspruchen, auf dass du wahrscheinlich gar keinen Anspruch hast. Wir werden dir alle möglichen Steine in den Weg legen, damit du das Geld möglichst nicht bekommst.“ Jede Aufforderung, irgendeine Unterlage zu beschaffen ist gekoppelt an die Drohung „und wenn du das nicht termingerecht einreichst, kürzen wir die Leistungen“.
Erst mal ist es noch gut gegangen
Letztendlich wurden die Leistungen vom Jobcenter gezahlt, z. T. mit zeitlicher Verzögerung, bei der keiner fragt, wovon der Kunde in der Zwischenzeit lebt. Alle 6 Monate musste ein Antrag auf Verlängerung gestellt werden, in dem alle Fragen wieder aufs Neue beantwortet werden mussten, auch wenn sich an den Verhältnissen nichts geändert hat. Gezahlt wurde bis zu dem Zeitpunkt, als das Jobcenter feststellte, dass es nun nicht mehr zuständig für die Zahlungen an Herbert war, sondern das städtische Sozialamt. Grund hierfür war ein Schreiben der Rentenversicherung, in der Herbert mitgeteilt wurde, dass seine kleine Erwerbsunfähigkeitsrente von ca. 200 € im Monat, die bisher zeitlich befristet war, nun unbefristet bis zum Erreichen des normalen Rentenalters gezahlt wird. Durch die unbefristete Rentenzahlung hat die Rentenversicherung anerkannt, dass Herbert mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr arbeitsfähig werden wird. Dadurch war er vom Jobcenter nicht mehr in einen Job zu vermitteln, was dazu führte, dass das Jobcenter sich nicht mehr für die Unterhaltszahlungen zuständig fühlte.
Aber dann …
Nun hat Herbert das genannte Schreiben der Rentenversicherung nicht direkt an das Jobcenter weitergeleitet, weil er es für bedeutungslos im Hinblick auf dessen Zahlungen hielt. Das Jobcenter war ja über seine Rente informiert und hat ohnehin schon immer nur die Differenz zum Mindestlebensunterhalt bezahlt. Hieran änderte sich durch das Schreiben nichts. Das Jobcenter erhielt dann erst ca. 6 Wochen später Kenntnis von diesem Schreiben. Daraufhin schickte es an Herbert einen Brief, in dem ihm mitgeteilt wurde, dass das Jobcenter nicht mehr für ihn zuständig ist und dass er einen Antrag nach SGB II beim städtischen Sozialamt stellen solle. Gleichzeitig wurde er aufgefordert, die Leistungen des Jobcenters für den letzten Monat zurück zu zahlen, da diese ohne Anspruch fälschlicherweise bezogen worden waren und Herbert angeblich seine Mitteilungspflicht grob fahrlässig verletzt hat, was sich auf die verspätete Information über das genannte Schreiben der Rentenversicherung bezog.
Da das Sozialamt erst nach Antragstellung zahlt, aber nicht rückwirkend, bedeutet die Rückzahlung der monatlichen Unterstützung an das Job-Center, dass Herbert einen Monat keine Unterstützung bekäme, obwohl er zweifelsfrei einen Anspruch darauf hat.
Es wird immer schwieriger für Herbert …
Die Rückfrage, wovon Herbert denn das Geld zurückzahlen solle, wenn ihm jeden Monat ohnehin nur das Existenzminimum zur Verfügung steht, ging dem Jobcenter-Mitarbeiter „am Arsch vorbei“. Er könne ja schriftlich ein Widerspruchsschreiben einreichen. Herbert war natürlich selbst nicht in der Lage ein solches Schreiben zu verfassen, so dass ich auch dieses für ihn übernahm. Ein paar Monate später kam dann die Ablehnung des Widerspruchs mit denselben Argumenten wie vorher: „grob fahrlässige Verletzung der Mitteilungspflicht“. Herbert muss die Zahlungen für einen Monat zurückzahlen.
Ein unschönes Endergebnis
Wegen einer aus Unwissenheit verspäteten Übermittlung einer Information wird also jemand, der mit der Sozialhilfe gerade mal das Existenzminimum zum Leben erhält, mit der Zahlung eines „Monatseinkommens“ bestraft. Dies ist umso unverständlicher wenn man sich den Grund für die Bedürftigkeit meines Freundes vor Augen führt, nämlich eine bleibende Gehirnschädigung, die zur Arbeitsunfähigkeit führte. Somit ist er selbstredend auch nicht in der Lage, um sein Geld zu kämpfen, Widerspruchsschreiben zu verfassen und eventuell noch juristisch gegen diese ungerechte Behandlung vorzugehen. Es ist ja grundsätzlich unstrittig, dass meinem Freund die Unterstützung durch den Staat zusteht. Aus welchem Topf des Staates diese gezahlt wird, ist letztendlich egal. Hierüber sollten sich die beiden betroffenen Ämter untereinander einigen.
Rechtlich scheint nun tatsächlich das Sozialamt zuständig zu sein, das inzwischen ja auch, nach erneuter umfangreicher bürokratischer Antragstellung Herberts Lebensunterhalt bezahlt, aber eben nicht rückwirkend.
Sind Bettler letztlich die Opfer der Ämter?
Nach diesen Erfahrungen glaube ich, dass zumindest ein Teil der Bettler auf der Straße schlicht Opfer der Verwaltungspraxis der Ämter ist. Diese Menschen haben keinen, der ihre Ansprüche für sie durchkämpft.
[1] Name geändert
[2] Dem Job-Center liegt eine Vollmacht meines Freundes vor.
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