Unbezahlte Mehrarbeit – alles für die „große Familie“?

6. November 2012 | Veröffentlicht von kraz-Redaktion / ws, Keine Kommentare

Unbezahlte Mehrarbeit bei der Mayerschen Buchhandlung
 – alles für die „große Familie“?

Am 24. September lud der Inhaber H. Falter die Beschäftigten der Aachener und Dürener Filialen sowie des Zentrallagers und der Hauptverwaltung in Aachen zu einem sogenannten „Infomorgen“. Auf dieser Quasi-Betriebsversammlung wurde den gut 200 anwesenden Beschäftigten eröffnet, dass

die Geschäfte nicht so gut liefen, und deshalb der Ertrag gesteigert werden müsse. Für 2013 erwarte man von allen Beschäftigten, dass sie freiwillig unbezahlte Mehrarbeit leisten. Ein Formular wurde an jeden Beschäftigten ausgehändigt, und selbstverständlich sei dies nur ein Gefallen, den man tue. Beantworte man mit Ja, könne dies monatlich widerrufen werden. Vollzeitbeschäftigte sollen nun 40 Stunden arbeiten, statt bisher 37,5, für Teilzeitkräfte gelte dies entsprechend.
Die Mayersche Buchhandlung mit Stammsitz in Aachen und 45 Filialen in ganz Nordrhein-Westfalen ist die größte Inhabergeführte Buchhandelskette in Deutschland. Im Laufe des Jahres 2012 wurden bereits mehrere Filialen geschlossen, so in Leverkusen, Iserlohn, Essen und in der Kölner Schildergasse.
Für die Kritische Aachener Zeitung – kraz.ac sprachen wir mit zwei Beschäftigten, die wir aus offensichtlichen Gründen anonymisieren.

Liebe KollegInnen, ersteinmal herzlichen Dank für eure Bereitschaft mit uns zu sprechen. Jener „Infomorgen“ ist jetzt gut vier Wochen her, wie ist die Stimmung unter den Beschäftigten, haben viele bereits der Mehrarbeit zugestimmt?

A: An jenem „Infomorgen“ war nach den Ausführungen von Herrn Falter die Stimmung erstmal gedrückt, kaum jemand konnte oder wollte etwas sagen. Ein Kollege hat sich dann zu Wort gemeldet und von „emotionaler Erpressung“ gesprochen, weil Herr Falter an die persönliche Solidarität eines jeden Einzelnen appeliert hatte. Dieser Kollege, wie einige andere auch, die sich kritisch geäußert hatten, wurden in den folgenden Tagen zu Herrn Falter persönlich zu Vier-Augen-Gesprächen geladen, ein Kollege diskutierte öffentlich mit Herrn Falter während der Versammlung. Einerseits herrscht große Angst, weswegen viele KollegInnen wohl zustimmen werden, andererseits gibt es großen Frust wegen der hohen Arbeitshetze und der gar nicht familiären Stimmung im Unternehmen. In der Herforder Filiale arbeiten gerade einmal vier KollegInnen auf mehreren Hundert Quadratmetern, die sind eh schon so im Stress, die haben bereits alle zugestimmt, aus Angst, den Job zu verlieren. Hier in der Zentralverwaltung ist die Mehrheit gegen Mehrarbeit, die Personalabteilung sogar fast geschlossen, wie wir hörten.

Zwischenzeitlich wurden ja fast alle Beschäftigten in regionalen „Info-Versammlungen“ über die Pläne informiert, gibt es denn überhaupt die Möglichkeit, sich über die Filialen hinaus auszutauschen? Einen Betriebsrat hat die Mayersche ja nicht, also auch nicht die Möglichkeit, auf einer Betriebsversammlung gemeinsam zu diskutieren.

A: In der Tat gab es wohl vor einigen Jahren den Versuch, einen Betriebsrat zu gründen. Damals waren es mehrere KollegInnen, von denen drei dann sehr schnell aus den verschiedensten Gründen gekündigt wurden. In zwei Filialen, Trier und Dortmund, gibt es Betriebsräte, weil diese Filialen von der Mayerschen übernommen wurden. Austausch gibt es sonst nur in kleinen Gruppen in den Raucherräumen, den „Flurfunk“, oder über Telefon, weil man eben manche KollegInnen schon länger kennt und nachfragt, wie es denn bei ihnen so aussieht. Zynischerweise hatte Herr Falter an jenem „Infomorgen“ die Installierung eines „Mitarbeiter-Ausschuss“ in Aussicht gestellt, der sich alle paar Monate treffen soll.

Wie reagieren denn die KollegInnen, die gegen unbezahlte Mehrarbeit sind? Gibt es erste Überlegungen für Gegenwehr?

A: Bisher haben sich viele nicht für die Gewerkschaft interessiert, zuständig ist ja Ver.di. Die Aachener Arbeitsagentur vermittelt bereits niemanden mehr an die Mayersche, soweit hat sich das Klima bei uns schon herumgesprochen. Jetzt sind die ersten KollegInnen zu Ver.di gegangen, einige wollen jetzt auch eintreten, und erwarten zurecht, dass jetzt etwas passiert. Schon lange hat man bei uns das Gefühl, dass Herrn Falters schwadronieren über die familiäre Stimmung leere Worthülsen sind, von Wertschätzung ist hier keine Spur zu fühlen. Viele sind schon lange frustriert und machen Dienst nach Vorschrift. Natürlich kommt jetzt wieder die Idee auf, einen Betriebsrat zu gründen, auch deswegen gibt es jetzt eine hohe Erwartungshaltung gegenüber Ver.di.

Die Aachener Medien haben bisher nur wenig berichtet, die WDR Lokalzeit brachte einen zweiminütigen Bericht mit dem Tenor, dass alles eigentlich völlig in Ordnung sei. Wie empfindet ihr das?

A: Der WDR-Bericht war eine einseitige Darstellung, wie eine Hofberichterstattung. Der interviewte Ver.di-Sekretär kam kaum zu Wort. Wir können es uns einfach nicht vorstellen, wie unkritisch berichtet wurde! Zudem gibt es alteingesessene freundschaftliche Beziehungen zwischen Herrn Falter und der Aachener Presselandschaft, anscheinend wird auch deswegen nicht kritisch berichtet. Auch deshalb sind wir froh, dass es noch andere, unabhängige Medien gibt.

Rein rechnerisch entsteht ja durch unbezahlte Mehrarbeit kein höherer Gewinn, steht nicht zu befürchten, dass durch das Ankreuzen von Ja oder Nein zu Mehrarbeit schon jetzt anstehende Entlassungen vorbereitet werden sollen?

A: Angeblich ist es jetzt schon so, dass sich die KollegInnen erpresst fühlen, und in der Personalabteilung stehen bereits zwei Aktenordner, die mit den Ja-Sagern, und die Nein-Sager. In der Branche rumort es, die Firma Hugendubel hat kürzlich angekündigt, im kommenden Jahr den Arbeitgeberverband verlassen zu wollen. Und die andere große Kette Thalia wurde vor kurzem an einen US-Investor verkauft. Es ist eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis auch bei uns Entlassungen anstehen.

Liebe KollegInnen, vielen Dank für dieses Gespräch. Ich denke, es wird deutlich, dass die Beschäftigten der Mayerschen dringend Vernetzung und Solidarität benötigen, sowie endlich den Aufbau eines Betriebsrates für alle bei der Mayerschen. Wir wünschen euch in den kommenden Wochen Standhaftigkeit und Erfolg!

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