Kampf um die Ukraine

19. März 2014 | Veröffentlicht von Hannes Rader /ws, Keine Kommentare

„Nur wer die Geschichte kennt, kann verstehen was da passiert.“

In der Ukraine überschlagen sich die Ereignisse. Das öffentliche Interesse ist groß. Aus diesem Grunde realisierte die VHS Aachen kurzfristig die Veranstaltung „Zwischen Moskau und Berlin“ – Vortrag & Diskussion. Referent war Jörg Kronauer, Redakteur beim Online-Magazin German Foreign Policy. Am gestrigen Dienstag hatten Interessierte die Möglichkeit, sich die Hintergründe zu den aktuellen Auseinandersetzungen erläutern zu lassen. Rund 40 Zuhörer kamen.

Länderinformation

Zunächst gab der Referent einen Überblick über die soziale und wirtschaftliche Lage des Landes. Von Bedeutung sind hierbei unter anderem die wirtschaftliche Differenz zwischen dem Osten (stärker industriell geprägt) und dem Westen sowie die Zweisprachigkeit und die damit einhergehende kulturelle Prägung. Eine starke Armut ist im gesamten Land festzustellen. So liegt das durchschnittliche Einkommen bei 230 Euro im Monat. Rechnet man das Einkommen der Reichen aus diesem Mittelwert heraus, erhält man ein realistisches durchschnittliches Monatseinkommen von 150 Euro pro Monat. Die Rente liegt bei ca. 80 Euro pro Monat. Anzumerken ist auch, dass der Westen besonders arm ist und hier außerdem der Nationalismus am stärksten ausgeprägt ist.

Starke wirtschaftliche Einbrüche kamen mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, von dem sich das Land nie richtig erholte. Zur gleichen Zeit erstarkten die Oligarchen und ihr Machteinfluss. Sie beherrschen heute ca. 40% der Wirtschaft. Eine überwiegende Moskauorientierung kann ihnen allerdings nicht nachgesagt werden. Die Oligarchen wissen um ihre geringere Stärke im Vergleich zu russischen Oligarchen, aber auch um den Zustand der ukrainischen Industrie im Vergleich zu westlichen Industrienationen. Letzteres dürfte einer der Gründe sein, warum bisher keine Freihandelszone mit der EU eingerichtet wurde.

Das gesamte Land ist vom russischen Erdgas abhängig. Als Transitland für Pipelines ist es außerdem ein wichtiger politischer Strategiefaktor.

Staatliche Machtpolitik

Der Referent sieht in der Ukraine ein Land, das in der neuzeitlichen Geschichte stets zwischen den beiden Polen Moskau und Berlin stand. Die EU-Osterweiterung, die NATO-Osterweiterung sowie die „Östliche Partnerschaft“ seien Belege für den westlichen Machtausbau Richtung Osten, wobei Deutschland eine besondere Rolle spiele. Die russische Reaktion auf diese westliche Machtpolitik sei unter anderem der Versuch, ein eigenes „Unionssystem“ ähnlich wie das der EU aufzubauen und mit Weißrussland, Armenien und anderen Ländern, eine einheitliche Zoll- und Wirtschaftsunion zu gründen bzw. auf den Weg zu bringen.

Geschichte

Der Geschichte des Landes widmet der Referent besondere Aufmerksamkeit. 1914 wurde erstmals das Ziel „Russland Zerlegen“ unter dem Begriff „Orange-Theorie“ bekannt. Um die deutsche Sozialdemokratie damals für den Krieg zu gewinnen, wurde das eigentliche Ziel hinter einem Propagandatrick versteckt; fortan ging es um die „Befreiung“ des Landes von den Einflüssen des russischen Zaren. 1918 marschierten deutsche Truppen in Kiew ein, wo anschließend ein reaktionäres Regime installiert wurde.

Heute wie damals zeigen sich zahlreiche Einflüsse und Intervensionsversuche insbesondere der Deutschen, die besonders häufig enge Beziehungen mit Nazi-Kollaborateuren pflegten. Bis heute schreckt die Deutsche Bundesregierung nicht vor einer Zusammenarbeit mit rechten Parteien zurück, um entsprechende Signale an Russland zu senden. Obwohl seitens jüdischer Vereinigungen vor der rechten Partei Swoboda gewarnt wurde und die Bundesregierung in einem offenen Brief um eine Distanzierung von eben dieser gebeten wurde, hat sich das Verhalten der deutschen Regierung bisher nicht verändert.

Heute

Die aktuellen Proteste auf dem Majdan liegen insbesondere in der Hoffnung begründet, durch den EU-Anschluss die Macht der Oligarchen einzudämmen. Doch seit dem EU-Gipfel 2013 hat sich die Hauptforderung geändert: Nun steht der Umsturz der Regierung im Vordergrund. Die Frage danach, ob es sich um eine faschistische Revolution handelt oder nicht, kann nur schwer beantwortet werden. Für seriös und glaubwürdig hält der Referent die Einschätzung einiger unabhängiger Beobachter, die von ca. 30% faschistischer Teilnehmer ausgeht. Nichtsdestotrotz steigt der Einfluss nationalistischer und rechter Gruppen stetig, während der Einfluss progressiver und linker Gruppen schwindet.

Die deutsche Einflussnahme zeigt sich einmal mehr am zum Oppositionsführer hochstilisierten Boxer, Kommunalpolitiker und Parteigründer Wladimir Klitschko. Die CDU nahe Konrad Adenauer Stiftung hat 2010 die Neugründung seiner Partei initiiert und seither begleitet. Für die Amerikaner ist er auch „der Mann der Deutschen in der Ukraine“.

Diskussion

In der anschließenden Diskussion wurde die Kritik laut, ob die deutsche Einflussnahme nicht eher zu hoch eingeschätzt würde. Doch dies konnte der Referent ebenso mit guten Gründen widerlegen, wie der Vorwurf eines zu „pro russischen Vortrages“.

In der Annexion der Krim sieht der Referent schlicht eine natürliche und erwartbare Reaktion Russlands auf die Instrumentalisierung der Proteste durch den Westen. Außerfrage steht dabei natürlich der militärstrategische Vorteil für Russland.

Ob aus den aktuellen Vorfällen tatsächlich ein Krieg entstehen kann, hält der Referent für wenig wahrscheinlich.

Bewegender Schluss

Der letzte Redebeitrag aus dem Publikum war etwas Besonders: Der über 90 jährige Hein Kolberg, der als achtzehnjähriger gegen die Rote Armee in den Krieg ziehen musste, beschrieb, wie sehr ihn die heutige Rhetorik an die damalige erinnert. Er appellierte eindringlich an die Zuhörer und den Referenten, nicht zuzulassen noch einmal ein solches Verbrechen gegen ein Land zu begehen.

Fazit

Die Veranstaltung war sehr interessant und erhellend. Zahlreiche Mythen wurden aufgeklärt, mit Mainstream-Meinungen aufgeräumt und die deutsch-ukrainische Beziehung in neuer Weise beleuchtet. Jörg Kronauer ist ein sehr guter Referent und Redner. Sein Hintergrund- und Detailwissen sprudelt förmlich aus ihm heraus. Nach Auffassung des Verfassers hätte der Vortrag auch doppelt so lange dauern können.

 

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