Theater und Politik – oder doch nur Theater?
30. November 2015 | Veröffentlicht von Gerhard Diefenbach / ws, Keine KommentareTheater und Politik – oder doch nur Theater?
In der laufenden Spielzeit des Theater Aachen wird in der Kammer das Theaterstück „Terror“ von Ferdinand von Schirach aufgeführt. Dies übrigens auch in vielen anderen Städten so in Düsseldorf, Hamburg, Nürnberg usw.
Am Ende der Aufführung kommt es zu einer Zuschauerbefragung zum Thema „Terror“. Es stellen sich einige sehr problematische Fragen zum Zweck, zur Seriösität und möglicherweise auch zum politischen Zweck dieses Theaterstückes.
Vorgeschichte des Theaterstücks
In der Vorgeschichte zu diesem Theaterstück geht es um eine (fiktive) Entführung eines Lufthansaflugzeugs auf dem Linienflug LH 2047 von Berlin nach München. Der Airbus mit 164 Passagieren an Bord soll in das Münchener Fußballstadion gelenkt werden, in dem 70.000 Zuschauer das Länderspiel Deutschland gegen England sehen wollen.
Der Bundeswehrpilot Lars Koch startet mit seinem Starfighter und trifft letztlich die Entscheidung, die Linienmaschine mit 164 Fluggästen zu „opfern“, um 70.000 Zuschauer zu retten.
Der Gerichtsprozeß ist das Theaterstück
Daraufhin kommt es zu einem Prozess gegen den Kampfflieger Koch. Die Anklageschrift legt ihm zur Last: „am 26. Mai 2013 um 20:21 Uhr mit Hilfe eines Luft-Luft-Lenkkörpergeschosses das Passagierflugzeug abgeschossen und damit die sich in dem Flugzeug befindlichen 164 Menschen getötet zu haben.“ Ein Verbrechen hundertfachen Mordes.
Die Zuschauer als Schöffen
Das Theaterstück behandelt nun den Gerichtsprozeß um dieses Ereignis und am Ende des Stücks sollen die Zuschauer – als Schöffen – über schuldig oder Freispruch entscheiden. Hierbei gibt es keine Saaldiskussion, sondern es wird eine SPONTANE Entscheidung erwartet.
Dem interessierten Zuschauer ist möglicherweise noch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Februar 2006 (das im Stück auch erwähnt wird) in Erinnerung, das den §14. 3. des Luftfahrtsicherheitsgesetzes für Verfassungswidrig erklärt. Dieser Paragraph ermächtigte die Streitkräfte, Luftfahrzeuge, die als Tatwaffe gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden sollen, abzuschießen.
Kurz darauf hatte in 2007 der damalige Bundesverteidigungsminister Jung die Debatte durch seine Äußerungen, er wolle von Terroristen entführte Flugzeuge notfalls auch ohne gesetzliche Grundlage abschießen lassen, neu eröffnet und sein Parteifreund Innenminister Schäuble warnte (sekundierte durch entsprechende Andeutungen) gleichzeitig vor nuklearen Anschlägen. (siehe T-online „Sicherheitspolitik Unmut über Schäuble und Jung“ vom 17.09.2007)
Da stellen sich eine Reihe von Fragen, die nachdenklich machen
- Ist das Theaterstück nun zufällig oder gewollt die erneute Eröffnung der Debatte um die vorstehende Frage?
- Hat der Autor „nur“ ein Theaterstück gemacht oder ist da noch mehr?
- Und warum werden die Abstimmungsergebnisse aus allen Städten, die dieses Theaterstück aufführen ins Netz gestellt? (http://terror.kiepenheuer-medien.de/)
Übrigens: im realen Leben werden Schöffen immer auch von Berufsrichtern begleitet und nach dem Prozess wird vor der Urteilsfindung eine ausführliche Beratung geführt.
Aus unserer Sicht ist eine rationale Entscheidung in dieser konstruierten Geschichte / Zwickmühle mit so weitreichenden Konsequenzen – es geht immerhin um die Tötung von 164 Passagieren – ohne ausführliche Abwägungen und ohne genaue Informationen der Hintergründe unmöglich.
- Wie eindeutig klar ist eigentlich das Stadion als „Ziel“?
- Wohin stürzt die abgeschossene Maschine? Stürzt sie in bewohnte Gebiete?
- Wäre eine Stadionräumung möglich gewesen? (Dies wurde zumindest im Prozess angesprochen)
- Gäbe es andere Alternativen zum Abschuss des Fliegers?
Zur Begrifflichkeit von „Terror“
Abschließend ein Wort zum Begriff Terror.
Terror ist ein Begriff, der über die klassischen Kriegsbegriffe hinausführt. Terror meint immer ‚Terror gegen Zivilbevölkerung‘ und nicht den Kampf zwischen den Kämpfern von kriegführenden Nationen. Insofern ist das was heute der Westen mit der Zivilbevölkerung im Nahen- und Mittleren-Osten, in Nord- und in Zentral-Afrika anrichtet Terror, besser gesagt ein KriegsTerror, der sich vornehmlich gegen die Zivilbevölkerung richtet. Und wenn dieser dort so erlebte Terror in Form von „Terroristen“ in die westlichen Metropolen zurückkehrt, ist es nur die Rückkehr des Terrors zu den Verursacher-Gesellschaften!
Ob das Theaterstück diesem umfassenden Begriff „Terror“ gerecht wird, bezweifeln wir.
—–
Nachtrag am 5.3.16 von Gerhard Diefenbach
Bei der kürzlich erfolgten Auswahl des renommierten Mülheimer Dramatikerpreises wurde das Stück „Terror“ des Theatermachers Ferdinand von Schirach erst garnicht in die nähere Auswahl genommen. Die Begründung des Entscheidungsgremiums war: es sei ein „ziemlich schlechtes Theaterstück“, das auf „offene Erregung“ ziele, das aber im Text nicht einhalte…
(siehe auch AN Artikel vom 2.3.2016 „Ohne von Schirach“ 160302_Terror_schlechtes Theater)
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