Rügemer: Herrscher und Vasallen?

13. April 2016 | Veröffentlicht von , Keine Kommentare

Über die schrittweise Eroberung Europas seit dem ersten Weltkrieg

Rügemer-Veranstaltung-160408Knapp 40 ZuhörerInnen waren am 8.4. zum Vortrag und zur Diskussion mit Dr. Werner Rügemer in die Katholische Hochschulgemeinde gekommen [1]. Veranstalter war das ‚Euregio Projekt Frieden‘ [2].
Der Einladungstext „Herrscher und Vasallen. Über die schrittweise Eroberung Europas seit dem ersten Weltkrieg“ versprach Antworten auf wichtige Fragen:

  • Was genau bedeutet Vasall-Verhältnis?
  • Gibt es eine ökonomische Unterordnung (Vasall) Deutschlands unter die USA?
  • Gibt es auch eine politische Unterordnung Deutschlands unter die USA? Ist Deutschland also nicht souverän?
  • Sind auch die anderen europäischen Staaten für Rügemer „Vasallen“ der USA?
  • Und was würde sich für die Bevölkerungen dieser Staaten, aber auch der der anderen Staaten in der Welt ändern, wenn das Vasall-Verhältnis beendet würde?

— Der Vortrag —

Beschreibung der ökonomischen Abhängigkeiten zwischen den USA und den europäischen Staaten seit 1880:

  • Zeit bis zum 1. Weltkrieg: USA ist Kreditnehmer der europäischen Staaten.
  • Im 1. Weltkrieg und an seinem Ende dann die Umkehrung: USA kreditiert die Kriegskosten bzw. Wiederaufbau der europäischen Staaten.
  • In den 20/30er Jahren: Alle europäischen Staaten sind bei den USA verschuldet.
  • Sonderfall: USA kreditieren sogar die Reparationszahlungen von D an die anderen europäischen Staaten, was DEREN Kreditrückzahlung an die USA erleichtert.
  • Bis zum Kriegseintritt der USA: Aufrüstung der Nazis wird unbeschränkt vom USA-Kapital unterstützt.
  • Nach dem 2. Weltkrieg dann eine vollständige ökonomische Durchdringung Deutschlands durch das US-Kapital
  • Auch der Marshallplan war nur ein Kredit an Deutschland.

Besonderheit: Das höchste Maß an Verflechtung des Kapitals zwischen zwei Staaten besteht zwischen Deutschland und den USA.

Durchdringung der innerstaatlichen Strukturen Deutschlands

Hierzu brachte Rügemer einige Beispiele. Alle stehen ursächlich mit dem Sieg über Nazi-Deutschland in Zusammenhang:
Der BND war bis 1956 Abteilung des CIA, ist erst danach wieder eine staatliche deutsche Einrichtung,
Alle wesentlichen militärischen Kräfte der BRD sind durch die USA (mittels NATO) gedeckelt bzw. dominiert.
Jeder deutsche Regierungschef musste bei Regierungsantritt eine Urkunde unterzeichnen, in der die Rechte der Alliierten anerkannt wurde (siehe hierzu http://www.zeit.de/2009/21/D-Souveraenitaet)
Seit Ende des 2. Weltkrieges gibt es bis heute über 20 US-Militärbasen auf deutschem Boden.

Ist Deutschland auch ökonomisch in einem Vasall-Verhältnis zu den USA?

Als Beispiel dafür, dass Deutschland auch ökonomisch ein Vasall ist, sagte Rügemer, dass das Deutsche Kapital („30 DAX-Konzerne“) nicht mehr „deutsch“ sei. Er führte dazu den Hedgefond Black Rock an. In allen 30 DAX-Konzernen seien die Anteilseigner mit deutschem Pass bzw. Gesellschaftssitz in der Minderheit.

Diskussion & Fragen aus dem Publikum

  • Sind in der globalisierten Wirtschaft die Kapitale der div. Staaten so sehr miteinander verwoben, dass sich die Frage „Vasall“ oder „Herrscher“ nicht mehr stellt? Die Antwort Rügemer lautet, dass das Kapital immer eine reale, staatliche Basis braucht, von der aus es operiert.
  • Die Frage, ob er es denn nicht gut und notwendig gewesen sei, nach dem 2. Weltkrieg und den beispiellosen Verbrechen Nazi-Deutschlands Basen der Siegermächte (kraz: übrigens auch durch B, F und GB) auf deutschem Boden zu errichten, gab er keine Antwort. Ebenso wenig beantwortete er die die Frage, ob es nicht nachvollziehbar sei, dass es erst ab 1956 einen deutschen Geheimdienst gab und bis dahin keinen.
  • Rügemer ging nicht weiter auf das aktuelle ökonomischen Machtverhältnis zwischen Deutschland (bzw. Europa) und den USA ein. Erst durch eine Frage aus dem Anti-Kriegs-Bündnis Aachen tauchte das Thema auf, ob Deutschland auf ökonomischem Gebiet vielleicht doch sehr wohl ein Konkurrent auf Augenhöhe mit den USA sein könnte. Und das gelte um so mehr, je stärker sich Deutschland die EU unterordnen könne, und dadurch seine eigenen Kräfte verstärken würden. Aber es gab weder Widerspruch noch ein Eingehen darauf seitens Rügemer.
  • Ist ausschließlich Deutschland ein Vasallenstaat und andere nicht?
    Gilt diese Unterminierung der (staatlichen) Souveränität also nicht nur für Deutschland, sondern auch für andere imperialistische Staaten in Europa wie F, NL, GB, usw.? Dies fällt schwer zu glauben, denn diese (vorübergehende?) Abschaffung der Souveränität scheint nur erklärbar mit der Tatsache, dass D als Täterland unter die Aufsicht der USA kamen. Hierauf gab Rügemer keine Antwort.
  • Was wäre eigentlich der Vorteil, wenn Deutschland kein Vasall mehr wäre?
    Unterstellt, das Denkmodell/Konzept „Vasall – Herrscher“ beschreibt das Verhältnis USA-D korrekt: Was wäre denn der Vorteil (oder das Fortschrittliche), wenn das Vasallenverhältnis beendet würde? Wem würde das denn nutzen?
    Hier argumentierte Rügemer so: „Dann bräuchte Deutschland nicht mehr bei den US-Kriegen mitzumachen“ – worauf Zuhörer darauf hinwiesen, dass Deutschland die Kriege dann autonom führen würde, wie aktuell in Mali.

Nachhören/Nachlesen?

Wer die Aachener Veranstaltung nachhören/sehen will;
– Es gibt einen Video-Mitschnitt newscan (Teaser hier newscan) und
-den ganzen Vortrag in newscan-youtube: die schrittweise eroberung europas durch die usa.
– Einen schriftlichen Bericht zur Veranstaltung gibt es in der NRhZ
– und von Rügemers Vortrag bei den Pleisheimer Gesprächen (Nachdenkseiten) gibt es hier einen kompletten Mitschnitt.

Kraz-Kommentar

  • Rügemer hätte deutlich darlegen müssen, warum er das Wort ‚Vasall‘ benutzt. Schließlich assoziiert der Begriff ‚Vasall‘ eine komplette Unterordnung und Abhängigkeit, und da hätte man klare Worte von Rügemer erwarten dürfen. Außerdem müsste er deutlich darlegen, dass und wo genau die BRD keinen oder einen sehr geringen politischen Handlungsspielraum hat.
  • Rügemer konnte nicht beweisen, ob transnationale Kapitalverflechtungen nur allgemeines Merkmal unserer neoliberalen Weltwirtschaft sind, oder ob sie zwischen Deutschland und USA ein spezielles, also besonders ausgeprägtes Abhängigkeitsverhältnis begründen.
    Ein Blick ins Internet erzeugt Fragezeichen: Black Rock ist nirgendwo über 2% Anteilseigner in den Top30 DAX-Werten.
    Andererseits gibt es einen ausführlichen Welt-Artikel, der die Aussage von Rügemer bestätigt. Auch im Manager-Magazin wird seine These unterstützt
  • Leider legte sich Rügemer auch nicht fest, ob er diese Vasall-Unterordnung ausschließlich im Deutschland-US-Verhältnis [3] sieht oder aber auch bei anderen imperialistischen Staaten Europas. Auffällig war: In seiner ganzen Argumentation bzgl. der ‚politischen Abhängigkeit‘ dekliniert er DIESE Abhängigkeiten ausschließlich an der BDR durch und nicht auch an Frankreich, England oder Italien.
  • Und am schwersten wiegt, dass Rügemer keinerlei schlüssige Antworten gab, welche politische, strategischen Schlüsse für fortschrittliche links gesinnte Menschen sich aus seinem Befund – so er richtig wäre – ergeben: Wenn denn Deutschland kein Vasall mehr wäre, was machen dann die Herrschenden in D? Leider sind mindestens zwei üble Beispiel für dieses „freie Deutschland“ bekannt.

Fazit: Was sind also die Konsequenzen aus der Vasall-Diskussion?
Rügemer weiß sicher um die Problematik, dass es eine – noch aus Lenins Zeiten stammende – Streitfrage in der linken/kommunistischen Strategie gibt: Falls eine Nation durch eine andere stark unterdrückt wird bzw. diese Unterdrückung den Charakter eines Kolonialverhältnisses hat, dann gibt es eine Strategie, dass die fortschrittlichen Kräfte (Arbeiterklasse) der unterdrückten Nation mit ‚ihrer‘ Bourgeoisie (vorübergehend) ein Bündnis eingehen sollte, um zuerst die nationale Freiheit in ihrem Land zu erkämpfen und erst danach wieder den Klassenkampf führen sollte (‚Revolution machen‘).
Ist das das Konzept von Rügemer, das er aber nicht so aussprechen will? Eigentlich nicht vorstellbar bei dem, was Rügemer ansonsten an aufklärerischen Informationen publiziert. Denn dann wären wir schon bei ‚Elsässer‘ und seiner rechten Strömung.

Der 1¼ stündige Vortrag von Rügemer war begrifflich unpräzise, inhaltlich wenig strukturiert, stark anekdotenhaft und leider überhaupt nicht auf eindeutige Aussagen zugespitzt. Dadurch zerfaserte auch die anschließende Diskussion. Der Kern und die Konsequenzen aus dieser an sich interessanten und wichtigen Kontroverse [4] [5] wurden nicht deutlich. Schade.

Anmerkungen

[1] Die Evangelische Kirche hatte ihre ursprüngliche Raumzusage für die Veranstaltung zurückgezogen weil es offenbar scharfe Kritik an den Verantwortlichen in der evangelischen Kirche an der Genehmigung einer Jebsen-Veranstaltung am 12. Feb. gegeben hatte.
[2] hier der link zum Bericht der Veranstalter
[3] Obwohl von Rügemer nicht erwähnt, könnte das auch genauso am Bsp. Japan durchdekliniert werden. Aber die politische Zerschlagung von Nazi-Deutschland 1945 (ebenso die von Japan) und eine systematische Integration und Beaufsichtigung unter den Fittichen der USA ist eine aus linker Sicht erstmal wünschenswerte Konsequenz der Nazi-Zeit. Insofern wäre die „Beweisführung“ der Vasall-Situation gerade NICHT an D oder Japan zu führen, sondern bei den anderen (Sieger-)Staaten.
[4] Hier noch ein Artikel zum Thema aus expliziet linker Sicht:

[5] Zwei weitere Hintergrundartikel:
Die kraz-Redaktion wurde aufgrund dieses Artikels auf zwei interessante Artikel aufmerksam gemacht, die sich geau auf den oben beschriebnen Disput beziehen:

Seit dem 20.4.16 gibt es eine Entgegnung von Dr. Werner Rügemer auf diesen Artikel in der NRhZ.

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