Rechtsextremismus in Stolberg – geographisches Problem oder lange Tradition?

10. April 2012 | Veröffentlicht von Anne Waldgraf / jw, Keine Kommentare

Am letzten Samstag, 07.04.2012, fand der jährliche Aufmarsch der Neonaziszene in Stolberg statt, für den der Tod eines jungen Mannes als Vorwand dient. Wer jedoch die Aufmärsche der letzten Jahre beobachtet hat, weiß, dass die militanten Neonazis mit ihnen lediglich ihre menschenverachtende Propaganga verbreiten wollen.

Viele Stolbergerinnen und Stolberger behaupten, dieser Aufmarsch wäre lediglich geographisch bedingt und greife nicht auf eine neonazistische Tradition Stolbergs zurück. Doch betrachtet man die Rolle Stolbergs in der Geschichte des Neonazismus wird man schnell eines besseren belehrt.

Wiking-Jugend Nachfolgeorganisation der HJ

Die Wiking-Jugend wurde im Anschluss an das Dritte Reich gegründet und verstand sich als Nachfolgeorganisation der Hitler Jugend. Ihr Name nimmt Bezug zur SS-Division Wiking. So wird sich schon mit dem Namen positiv auf das Dritte Reich bezogen. Die hierarchischen und starren Strukturen wurden übernommen, was auch für die Kindererziehung gilt. Bis zur Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts wurden 15.000 Menschen nach faschistischen Prinzipien dieser Organisation ausgebildet.

Stolberg als Haupsitz der Wiking-Jugend

Das oberste Amt der Wiking-Jugend ist der Bundesführer. Dieses Amt wird von den männlichen Mitglieder seid den 60er Jahren der Familie Nahrath bekleidet. Der Wohnsitz dieser Familie ist Stolberg. Dort leben sie offen ihre Ideologie aus. Ab 1967 ist Wolfgang Nahrath Inhaber dieses Postens. Das private Wohnhaus der Nahraths wird Hauptsitz der Wiking-Jugend. Von hier aus wurden junge Menschen in der Region rekrutiert und Verbindungen zu weiteren neonazistischen und -faschistischen Organisation geknüpft. Der Kurs der Wiking-Jugend wird zunehmend militanter. So beteiligen sie sich an Kampagnen wie „Brandt an die Wand“ oder sind in das Verüben von terroristischen Aktionen verwickelt.

Dies unterscheidet auch die Wiking-Jugend von anderen Organisationen dieser Art, die sich nach dem Untergang des dritten Reiches gründeten und ab Ende der 60er Jahre wegen des gesellschaftlichen Wandels zerfielen. Doch die Wiking-Jugend nicht. Sie schaffte es sogar gestärkt aus diesem Prozess heraus zu gehen. Sie knüpfte neue Kontakt zur militanten Neonaziszene und näherte sich der NPD an. Wolfgang Nahrath wurde ab 1993 Mitglied des Bundesvorstandes der NPD und kandidierte im darauf folgendem Jahr für die Europaparlamentswahl. Seinen Wahlkampf verglich er mit dem Adolf Hitlers. An dieser Stelle ist auch eine Verschmelzung des NPD Nachwuchses mit der Wiking-Jugend zu beobachten.

Verbot der Wiking-Jugend 1994

1994 wird die Wiking-Jugend vom Bundesinnenminster Manfred Kanther verboten. Zwar existiert nun die Organisation Wiking-Jugend offiziell nicht mehr, doch durch die unterschiedlichen Verflechtungen in die Neonaziszene kann das Gedankengut erhalten bleiben. Die einzige Folge des Verbots ist eine Umstrukturierung der neofaschistischen Szene, jedoch bleiben die Akteure und ihr biographischer Hintergrund erhalten.

Stolberg als Symbol

So haben faschistisches Denken und Handeln in Stolberg eine lange Tradition. Doch nicht nur diese Tradition kann dieses kleine Städtchen im Rheinland aufweisen, auch herrscht dort eine lange Tradition des Wegschauens gegenüber faschistischem und neonazistischen Denken und Handeln und den damit verbunden Ausbau rechter Strukturen.

Aus diesem Standpunkt heraus wird deutlich, dass Stolberg in der (militanten) Neonaziszene durchaus bekannt war, aber ihre Symbolkraft verloren hat. Nun gilt es ihr diese Symbolkraft wieder zu geben.

Da kam die Ermordung Kevins im Jahr 2008 für die Neonazis in der Region gerade gelegen. Diesen wussten sie für sich nutzen. Und versuchten einen neuen „Mythos Stolberg“ zu etablieren.

Folglich möchten die Neonazis mit ihren jährlichen Aufmärschen Stolberg ihre Symbolkraft für die Szene zurückgeben. Dies droht ihnen auch zu gelingen, da die Stolbergerinnen und Stolberger mit der Tradition des Wegschauens in den Jahren nicht gebrochen haben. Zwar veranstaltet das Bündnis gegen Radikalismus regelmäßig während der Aufmärsche der Neonazis Gegenveranstaltungen. Diese finden jedoch nicht in Sicht oder Hörweite der Nazis statt und man kann zu dem Gefühl kommen, dass hier nicht gegen rechtes Gedankengut demonstriert wird, sondern dass man die alten Zustände wieder herstellen möchte. Also jene Zustände wo Nazis zwar frei agieren konnten, wo aber kein Außenstehender sich um die Angelegenheiten der Stolbergerinnen und Stolberger kümmerte.

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