„Politischer Islam“

30. Juni 2014 | Veröffentlicht von Mechthild Tauber & Walter Schumacher, Keine Kommentare

„Islamist“ als politischer Kampfbegriff

„Islamist“ und damit der politische Islam sind vielfach zu einem politischen Kampfbegriff geworden. Er dient als Schreckbild und steht für Rückständigkeit und Gefährlichkeit. Bei vielen Diskussionen und bei der Beurteilung von weltweiten Konflikten herrscht weitestgehend Unwissen über die verschieden ausgeprägten Religionsrichtungen und politischen Strömungen.

Imad Mustafa

Das Anti-Kriegs-Bündnis-Aachen und der „Arbeitskreis Nahost“ vom Friedenspreis Aachen hatten deshalb Ende Mai den Referenten Imad Mustafa eingeladen, um hier etwas Überblick und Klarheit zu verschaffen. Es sollte versucht werden, entgegen den üblichen stigmatisierenden Darstellung das politische Handeln und die Organisationsweisen der verschiedenen Akteure zu unterscheiden. Etwa 35 Interessierte waren ins Welthaus gekommen.
Im Vortrag berichtete Mustafa, dass die arabisch-islamische Welt heute stark einem hegemonialem Diskurs unterworfen ist, in welchem der „westliche“ Blick auf die dortigen politisch-sozialen Verhältnisse durch ethnozentrische, kulturalistische, ahistorische und stereotype Bilder geprägt ist.

Politische Islam: das Schreck- und Feindbild

Der Politische Islam fungiert in diesem Kontext als das Schreck- und Feindbild „aufgeklärter“ Bürger, der wahlweise für die Rückständigkeit, Gefährlichkeit oder auch Unmenschlichkeit der ganzen Religion steht. Durch diese Sichtweise, die die gesamte islamische Welt und erst recht den Politischen Islam als einen einheitlichen Block wahrnimmt, wird eine differenzierte und konstruktive Auseinandersetzung mit dem Phänomen verhindert.

Das „Islamische Erwachen“

vor über 150 Jahren war Reaktion auf koloniale Eroberung in Nordafrika und dem Nahen Osten. Die Idee eines neuen politischen Islams zu Anfang des letzten Jahrhunderts, sollte ihn angesichts der Herausforderungen der Moderne erneuern und zu einem neuen Selbstverständnis der islamischen Kulturen führen. Dabei waren Erneuerer wie Al Afghani von der europäischen Aufklärung und dem Vernunftgedanken überzeugt.

Islamische Länder ein Scherbenhaufen

Heute gleicht die Lage islamischer Länder einem Scherbenhaufen. Oftmals sind sie von Krieg überzogen und stehen unter dem Einfluss internationaler Interessen. Bewegungen wie die (nicht militärische) ägyptische Muslimbruderschaft, leisten dabei solidarisch Hilfe für in Not geratene Menschen. Das ist vergleichbar mit der Hamas, die ursprünglich als militanter Widerstand gegen die israelische Besatzung im Libanon entstand und nun erfolgreich als nationale Partei an demokratischen Wahlen teilgenommen hat.
Es ist heute offensichtlich irrig, von einem monolithischen Politischen Islam zu sprechen. Mustafa zeigte auf, wie je nach nationalen, politischen und sozialen Rahmenbedingungen, haben sich über die Jahrzehnte sehr unterschiedliche ideologische Ausprägungen herausgebildet haben.

Unterschiedliche Strömungen im Islam

Ähnlich wie im Christentum hat sich auch der Islam seit seiner Entstehung in verschiedenste Strömungen ausdifferenziert.
Die beiden Hauptströmungen unterscheiden sich ganz grob skizziert in

  • Sunniten, die Koran und „Sunna“ (Handlungsweisen des Propheten) folgen und zum Teil eine individuelle Auslegung des Korans akzeptieren, und
  • Schiiten, die sich kurz nach Ableben des Propheten aufgrund von Meinungsverschiedenheiten über die rechtmäßige Führerschaft der Gläubigen abspalteten und heute eine Art Klerus zur Auslegung der Scharia gebildet haben. Aus ihnen haben sich zu unterschiedlichen Zeiten von mystischen Wander-Derwischen (Sufis) bis hin zu extrem puritanischen Gruppen (z.B. Wahabiten), die andere Meinungen verketzern, verschiedene islamische Kulturen herausgebildet.

Scharia

Aus dieser Logik heraus wird aber auch klar, warum die einen die Scharia als starres Gesetz ansehen – nämlich weil die jeweils herrschende Elite das eben so behauptet – während für die anderen die Scharia kein festgelegter Gesetzeskanon ist, sondern es einer Interpretation der Quellen bedarf, die Raum für Mehrdeutigkeit und Neuauslegung juristischer Fragestellungen belassen. Somit schließen Demokratie und Islam einander nicht aus.
Dass manche Gruppen die Deutungshoheit des Korans und der Scharia für sich beanspruchen führt zu Diskriminierung und Verketzerung innerhalb der islamischen Welt und zeigt, dass der politische Islam hier noch einige Entwicklungsschritte vor sich hat.

Das Buch zum Vortrag

Im September erschien das Buch von Imad Mustafa „Der Politische Islam: Zwischen Muslimbrüdern, Hamas und Hizbollah“ bei Promedia (Wien).
Imad Mustafa wurde 1980 in Esslingen/Württemberg geboren. Er studierte Politologie, Orientalistik und Soziologie an den Universitäten Heidelberg, Damaskus und Frankfurt a.M. Er ist Mitbegründer des Blogs dasmigrantenstadl.blogspot.com und arbeitet als freier Autor zum Politischen Islam und der Arabischen Welt.

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