Nie wieder Überwachungsstaat

31. August 2013 | Veröffentlicht von Hannes Rader / ws, Keine Kommentare

#StopWatchingUs-Aktion in Aachen

schilder

Am heutigen Samstag kamen rund 30 Menschen zusammen, um gemeinsam gegen Überwachung und für die Wiederherstellung ihrer Grundrechte zu demonstrieren. Die Veranstaltung begann aus symbolischen Gründen um fünf vor Zwölf vor dem Internationalen Zeitungsmuseum. Vertreter von Attac Aachen und der Würselener Initiative für Frieden hielten Redebeiträge. Darin wiesen sie auf die Gefahren hin, die die Überwachung für die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bedeutet und kritisierten außerdem das Verhalten der Politiker und Verantwortlichen. Die Redebeiträge sind weiter unten in diesem Artikel dokumentiert.

Zu Ehren von Whistleblowern

Anschließend wurde am Internationalen Zeitungsmuseum eine Plakette zu Ehren von Whistleblowern angebracht. Die Veranstalter sehen Whistleblowing als wichtiges Regulativ der Demokratie an, das ebenso wichtig ist, wie die Pressefreiheit, die zunehmend eingeschränkt wird. Die Pont-Straße wurde außerdem in „Edward-Snowden-Straße“ und der Marktplatz in „Bradley Manning Platz“ umbenannt. Diese Whistleblower wurden stellvertretend für alle Informanten, investigativen Journalisten und Informationsaktivesten, die Missstände aufdecken und sich für Informationsfreiheit einsetzen, geehrt.

#StopWatchingUs

grundrechteDas Aachener Bündnis #StopWatchingUs hatte zu dieser Demo & Aktion am 31. August eingeladen, da dieser Tag der Internationale Tag des Datenschutzes und zugleich der Aktionstag #StopWatchingUs ist. Ziel der Aktion war es, ein Zeichnen gegen Überwachung zu setzen, die Wiederherstellung der Grundrechte zu fordern und Whistleblower zu ehren.

Hinter dem bundesweiten Bündnis, das sich wegen des aktuellen Abhörskandals gebildet hatte, steht keine konkrete Organisation sondern ist vielmehr ein Zusammenschluss freidenkender Menschen, die nicht länger zuschauen möchten, wie ihre Bürgerrechte mit Füßen getreten werden. Der Aktionstag wurde bundesweit dezentral organisiert, in vielen anderen deutschen Städten fanden ähnliche Aktionen statt.

Demonstrieren unerwünscht

Von Beginn an wurde die Anwesenheit der Demonstranten von Teilen der umgebenden Geschäfte und Lokale als negativ empfunden. Mehrfach wurden sie darauf hingewiesen, dass der Bürgersteig jeweils zum Privatgrundstück gehöre und sie sich deshalb davon entfernten sollten. Eine Inhaberin kündigte außerdem an, sich mit der Stadt und der Polizei in Verbindung zu setzen, um zu prüfen, ob die Veranstaltung überhaupt genehmigt sei. Später forderte sie sogar die Genehmigung zur Ansicht ein. Hier zeigt sich einmal mehr, wie der öffentliche Raum zunehmend verschwindet und für die Ausübung bürgerlicher Rechte nicht mehr zur Verfügung steht.

 

Hier die Redebeiträge im Volltext dokumentiert:

 

— Eva Renner, attac —

Eine Frage scheint zurzeit über uns zu schweben wie das Schwert über Damokles : Leben wir in einem Überwachungsstaat? Ist 1984 Realität geworden?

Überwachung ist die zielgerichtete Beobachtung und Informationserhebung von Objekten oder Personen. Ein Überwachungsstaat ist ein Staat, der seine Bürger in großem Stil mit einer Vielzahl verschiedener, staatlich legalisierter Mittel, überwacht.

Man beachte hier die Formulierung „mit staatlich legalisierten Mitteln“. Diese wunderbare Formulierung wird von Politikern und Verantwortlichen ja gerne verwendet, wenn sie den aktuellen Skandal herunterspielen und verharmlosen möchten. Die Geheimdienste handeln im Rahmen der Gesetze, heißt es.

Die Enthüllungen von Edward Snowden sind für mich nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt – die Büchse der Pandora wurde längst geöffnet: Biometrische Personalausweise, Ausländerzentralregister, Gesundheitskarten, Erstellung von Bewegungsprofile durch bargeldloses Bezahlen, Videoüberwachung, Maut-Systeme und Ortung von Mobiltelefonen, Lauschangriffe, Online-Durchsuchung, Anti-Terror-Datei, die sogenannte Telekommunikations-Überwachungsverordnung, das EU-Projekt INDECT und Horizon2020 –

Wir leben längst in einer Welt, in der jeder Schritt und jeder Gedanke nicht nur, aber vor allem in der digitalen Welt aufgezeichnet wird und gegen uns verwendet werden kann. Jeder Bürger wird unter Generalverdacht gestellt und das Prinzip der Unschuldsvermutung untergraben. Informanten, die Missstände und Verbrechen aufdecken, werden kriminalisiert und als Verräter und Terroristen bezeichnet. Die Presse wird eingeschüchtert, die Pressefreiheit eingeschränkt.

Alles zu unserer Sicherheit, natürlich. Wir haben das doch eh schon längst vermutet. Gegen Überwachung und Datensammeln von Geheimdiensten sind wir letztlich sowieso machtlos. Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten. Staatliche Überwachung dient unserer Sicherheit. Nur Terrorismus, Kinderpornografie und andere Verbrechen werden mit der Überwachung bekämpft.

Mit diesen Sätzen scheint sich die Öffentlichkeit selbst zu beschwichtigen. Doch diese Sätze zeugen nicht nur von der unglaublichen und dreisten Verharmlosung, mit der die Öffentlichkeit auf die Späh-Affäre reagiert, sondern sind alle auch noch völlig falsch. Schlimmer noch: sie zeigen ein unglaubliches Missverständnis. Und genau dieses Missverständnis gefährdet unsere Demokratie.

Das Missverständnis, das unsere Demokratie und diese Rechtsstaatlichkeit gefährdet, besteht darin, dass zu wenige Menschen erkennen, dass vertrauliche Kommunikation ohne Überwachung, das Grundrecht eines jeden einzelnen Menschen ist. Dieses Grundrecht sowie die informationelle Selbstbestimmung, die Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit und der Schutz von Whistleblowern sind essentiell. Sie ermöglichen erst Demokratie und gehen der Rechtsstaatlichkeit voraus. Sie sind keine Geschenke, die uns großzügigerweise von der Obrigkeit gewährt werden und bei Bedarf wieder zurückgenommen werden können, wenn vermeintliche historische Notwendigkeiten es erfordern.

Wer diese Freiheiten und Rechte einzuschränken versucht, handelt nicht zu unserer Sicherheit, sondern gefährdet sie.

Jeder Mensch hat etwas zu verbergen. Erst seine Privatsphäre macht den Menschen frei. Und Überwachung dient nicht unserer Sicherheit, sondern soll uns zu unauffälligen und angepassten Bürgern machen. Es ist natürlich richtig, dass Terrorismus und andere Verbrechen bekämpft werden müssen. Doch die Totalüberwachung von Bürgerinnen und Bürgern schützt nicht vor Verbrechen, sondern schürt Misstrauen, schüchtert ein, führt zu Diffarmierung, Selbstzensur und Angst – letztendlich zerstört sie eine Gesellschaft.

Und sie wird automatisch zu Missbrauch führen. Das kann gar nicht verhindert werden, die Geschichte hat uns das immer wieder gelehrt. Und wer heute nichts zu verbergen hat, weil er sich nichts vorzuwerfen hat, hat keine Garantie, dass das auch morgen noch so sein wird. Denn das was heute noch Recht ist, kann oft Unrecht werden über Nacht. Was Recht und was Unrecht ist, bestimmen wir nur auf dem Papier. In Wahrheit verhandeln darüber die Generäle und Kriegsherren in Nadelstreifen, die Politiker und Vorstandsvorsitzende hinter verschlossenen Türen. Wer sich heute für einen rechtschaffenen Bürger hält, kann schon morgen zu einem gefährlichen Gedankverbrecher erklärt werden.

Es gibt keine Rechtfertigung für staatliche Überwachung. Es kann keine Rechtfertigung für die Aufhebung unserer Bürgerrechte geben. Das müssen wir alle klar erkennen. Und es gibt keine Rechtfertigung für die Aufhebung der Unschuldsvermutung, der Umkehr der Beweislast und es gibt keine Rechtfertigung für die Angriffe auf die Pressefreiheit, wie zuletzt geschehen bei der britischen Tageszeitung The Guardian. Und es gibt auch keine Rechtfertigung für die Hetzjagd auf Whistleblower.

Ein Whistleblower ist erst dann ein Whistleblower, wenn er Informationen öffentlich macht, die von gesamtgesellschaftlichen Interesse sind und illegitimer Weise vor der Öffentlichkeit verheimlicht werden. Whistleblower diffamieren nicht, sondern sind ein wichtiges Regulativ für die Demokratie.

Ihr Verhalten ist nicht immer legal, in jedem Falle aber immer legitim. Genau umgekehrt verhält es sich mit dem Handeln der Regierungen und Geheimdienste. Ihr Verhalten mag in manchen Fällen legal sein, in keinem Falle aber ist es legitim.

Langsam und Schritt für Schritt ist den Eliten gelungen, unseren Rechtsstaat auszuhöhlen und die größten Errungenschaften der Menschheit einzustampfen. Unter dem Deckmantel der immer schwelenden terroristischen Gefahr ist es ihnen gelungen, die Akzeptanz für vermeintlich sichheitserhöhende Maßnahmen zu steigern und die Grenzen unterschwellig immer weiter zu verschieben. Der demokratische Rechtsstaat wird nach und nach, lautlos und nahezu unbemerkt zu einem präventiven Überwachungs- und Kontrollstaat. Für die Illusion einer vermeintlich umfassenden Sicherheit, sind einige Menschen bereit, das wichtigste aufzugeben, was wir besitzen. Doch das werden wir nicht zulassen.

Das Verhalten der Bundesregierung ist eine Unverschämtheit – ihr Herunterspielen, ihr Verharmlosen und ihre Salami-Tagik sind bodenlos. Frau Merkel hat es nicht nötig, sich mit den Details der Spähprogramme auseinanderzusetzen. Herr Pofalla beendet mit einem Satz eine Diskussion, die längst überfällig wäre. Dieses Verhalten unserer sogenannter Vertreter sollte uns misstrauisch machen.

Gestern wurde der deutsche Whistleblower-Preis an Edward Snowden übergeben. Das ist natürlich erfreulich und wir gratulieren ihm dazu. Doch in der selben Zeit ist noch etwas anderes, bemerkenswertes passiert: Ende Juni hatte die Piratenpartei eine Petition eingereicht. Mit dieser Petition wollte die Piratenpartei erreichen, dass die Bundesregierung Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen Großbritannien wegen Verletzung des Grundrechts auf Achtung der Privatsphäre und der Korrespondenz einreicht. Der Petitionsausschuss wird den Antrag zwar bearbeiten, aber weigert sich die Petition zu veröffentlichen. In der Begründung heißt es, es sei nicht mit einer Debatte über das Thema zu rechnen und beruft sich damit auf seine Richtlinien. Tja, das ist Realsatire wie sie im Buche steht.

Für mich geht die wahre Gefahr nicht vom Terrorismus aus, sondern von den Eliten und Mächtigen dieser Welt, die gerade dabei sind, unseren Rechtsstaat abzubauen und unsere Gesellschaft in eine unfreie Gesellschaft voller Angst und Misstrauen zu transformieren. Und auch das werden wir nicht dulden. Wir demonstrieren hier und heute, gemeinsam mit tausend anderen Menschen überall in Deutschland gegen die Aushöhlung unserer Rechte, unserer Demokratie und unserer Rechtsstaatlichkeit. Wir fordern die sofortige Beendigung der staatlichen Überwachungsprogramme. Wir bekunden unsere Solidarität mit allen Whistleblowern, investigativen Journalisten und Informationsaktivisten auf der Erde, die gejagt und als Verräter diffamiert werden und fordern die sofortige Beendigung der Hetzjagd auf sie. Wir verbitten uns die Angriffe auf unsere Privatsphäre und fordern von unserer Regierung und den Verantwortlichen Aufklärung und ein angemessenes Verhalten bei diesem Skandal. Wir fordern einen transparenten Staat und nicht den gläsernen Bürger.

 

— Ansgar Klein, Würselener Initiative für Frieden—

Liebe Freunde, meine Damen und Herren!

Kürzlich hat der politische Kabarettist Georg Schramm, alias Lothar Dombrowsky, gesagt: „Jeder der nicht verzweifelt ist, begreift nicht, was gerade abläuft.“

Dieser Satz bringt auf den Punkt, was wache Zeitgenossen angesichts des Zustands unserer eingelullten Republik empfinden. Wir alle, die wir heute hier sind, um unser Aufbegehren gegen den Überwachungsstaat zum Ausdruck zu bringen, sind zwar im Grunde auch verzweifelt, doch aus unserer Verzweiflung erwächst Zorn, Zorn der uns antreibt, die Scheinheiligkeit der Verantwortlichen in Berlin, Washington und anderswo anzuprangern und deutlich zu machen, dass es in unserer Gesellschaft noch Menschen gibt, die aufschreien, wenn die politische Klasse ihre Machenschaften unter irgendwelchen Mäntelchen zu verbergen sucht.

Zweifellos ist es für ‚die da oben’ eine heikle Angelegenheit, sich an den eigenen Haaren aus dem selbst angerichteten Sumpf herauszuziehen. Kein Mensch glaubt mehr daran, dass diese ‚feine‘ Gesellschaft nicht wusste, was Edward Snowden öffentlich gemacht hat. Das heißt: Merkel und die übrigen Verdächtigen müssten sich an die Brust klopfen und sagen: „Snowden, Du hast recht, wir handeln gegen die Prinzipien, die wir nach außen verkünden. Wir, die ‚Eliten‘, führen die hehren ‚westlichen Werte‘ immer im Munde, doch unser Handeln ist geprägt von Machtstreben und damit einhergehenden Einschränkungen der Freiheitsrechte der Bürger.“

Doch solch ein Bekenntnis kann man von ‚denen da oben’ nicht erwarten. Sie haben sich bei der Ablehnung des Asyl-Antrags Edward Snowdens hinter juristischen Winkelzügen verschanzt, um nur ja nicht dem großen Bruder USA auf die Füße zu treten. Eine Karikatur in den Aachener Nachrichten hat das plakativ auf den Punkt gebracht: Obama – mit der NSA-Akte unterm Arm – schärft der ihm gegenüber stehenden Bundeskanzlerin ein: „Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten!“ Merkel steht stramm und antwortet: „Ey, ey, Sir!“

Leider steht Merkel nicht allein da: Nach einer ARD-Umfrage sind 58% der Deutschen gegen ein Asylangebot für Snowden und 55% für großflächiges Datensammeln, um Terror-Anschläge verhindern zu können. Das heißt, 58% der Bevölkerung liebt den Verrat, aber nicht den Verräter, und bei 55% ist die Botschaft der selbsternannten Terrorbekämpfer angekommen: Jeder muss Freiheitsrechte aufgeben, damit ein Phänomen bekämpft werden kann, das erst durch andauernden Kolonialismus der Westmächte gezüchtet wurde und noch wird. Diesen Zusammenhang zeigt z.B. Jean Ziegler, Mitglied des UNO-Menschenrechtsrates, sehr deutlich auf in seinem Buch: „Der Hass auf den Westen“ mit dem bezeichnenden Untertitel: „Wie sich die armen Völker gegen den wirtschaftlichen Weltkrieg wehren“. Oder nehmen wir das Beispiel Afghanistan: Jeder von den Besatzungsmächten getötete Afghane erzeugt mindestens einen neuen sogenannten Terroristen.

Wir müssen uns gegen das verlogene und verbrecherische Treiben ‚der da oben‘ auflehnen.

Bei der kommenden Bundestagswahl haben wir dazu eine nicht zu unterschätzende Möglichkeit!

Ich danke Euch!

Aachen, den 31.August 2013, Dr.Ansgar Klein, Sprecher der Würselener Initiative für den Frieden

 

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