Läsionen in belgischen AKW Doel_3 und Tihange_2

14. September 2012 | Veröffentlicht von Aachener Aktionsbündnis gegen Atomenergie / ws, Keine Kommentare

Nachdem im Juli mehr als 10.000 „Fehlstellen“ im Reaktordruckbehälter von Doel 3 gefunden wurden, bestätigte die belgische Atomaufsicht (FANC)

am 13. September, dass der Reaktordruckbehälter von Tihange 2 die gleichen Probleme aufweist. Beide Reaktoren sind zur Zeit abgeschaltet.

Der Anlass für die aktuellen Inspektionen

Aufgrund von Problemen im französischen Atomkraftwerk Tricastin wurde beschlossen, alle belgischen Atomkraftwerke einer genaueren Untersuchung zu unterziehen. Es bestand der Verdacht, dass zwischen der Plattierung und dem eigentlichen Material des Reaktordruckbehälters Risse entstanden sind. Zur Klärung sollten die belgischen Reaktordruckbehälter mit einem Ultraschallverfahren untersucht werden.

Die Untersuchungen

Erstmals fand diese Untersuchung am Atomkraftwerk Doel 3 statt. Bei dieser Untersuchung fand man keine Bestätigung für die befürchteten Risse zwischen Plattierung und dem Untergrundmaterial, jedoch wurden andere Läsionen entdeckt, die nicht direkt an der Oberfläche sondern tiefer im Material liegen. Das eingesetzte Ultraschallverfahren konnte den Behälter jedoch nur bis zu einer Wandstärke von 25 mm untersuchen. Da die Läsionen unter der ca. 8 mm dicken Plattierung vermutet wurden, sollte dieses Verfahren eigentlich ausreichen. Weil jedoch auch Fehlstellen in größerer Tiefe gefunden wurden, entschloss man sich mit einem neuartigen Verfahren den Reaktordruckbehälter in seiner ganzen Wandstärke von bis zu 200 mm zu untersuchen. Bei dieser Untersuchung wurden dann die über 10.000 Läsionen entdeckt. Fast 8.000 dieser bis zu 40 mm langen „Fehlstellen“ befanden sich im unteren, ca. 1,5 m hohen Ring des Reaktordruckbehälters.
Da der Reaktordruckbehälter von Tihange 2 baugleich mit dem von Doel 3 ist, wurde die Untersuchung ebenfalls für diesen Reaktor eingeplant. Am 16. August wurde Tihange 2 heruntergefahren und nach der Abkühlungsphase wurde der Reaktor am 10. September ebenfalls untersucht. Am 13. September gaben nun der Betreiber Electrabel und die belgische Atomaufsicht (FANC) bekannt, dass Tihange 2 vergleichbare Probleme aufweist.

Was bedeutet Läsion in diesem Zusammenhang?

Die belgische Atomaufsicht spricht in ihren Meldungen immer nur sehr nebulös von „Fehlstellen im Reaktordruckbehälter“, ohne diese näher zu charakterisieren. Ob es sich um Risse, Blasen oder Doppelungen handelt wurde nicht bekannt. Auch gibt es keine Informationen, ob das verwendete Untersuchungsverfahren überhaupt geeignet ist, zwischen den unterschiedlichen Formen von „Fehlstellen“ zu unterscheiden.
Möglicherweise haben sich an den bereits bei der Herstellung vorhandenen Fehlstellen durch mehr als 40 Jahre andauernden Neutronenbeschuss Material­ermüdungen eingestellt. Zu all diesen Details schweigt sich die belgische Atomaufsicht aus. Entweder hat sie wirklich keinerlei Wissen darüber oder sie möchte der Öffentlichkeit diese Informationen verschweigen.

Sind die Fehler wirklich herstellungsbedingt?

Der Betreiber Electrabel zeigt sich überzeugt, dass diese Fehlstellen herstellungsbedingt sind. Er erklärt hierzu keine Beweise zu haben, tätigt diese Aussage aber trotzdem, weil es aus seiner Sicht „keine andere Erklärung gibt“.
Am Herstellungsprozess des Reaktordruckbehälters waren mehrere Firmen beteiligt. Das Ausgangsmaterial wurde von der Firma Krupp produziert und anschließend von der niederländischen Firma Rotterdamsche Droogdok Maatschappik (RDM) geschmiedet. Die geschmiedeten Teile wurden dann von den Firmen Framatome und Cockerill zusammengeschweisst. Bislang wurden 21 weitere Atomkraftwerke weltweit identifiziert, die ebenfalls von der Firma RDM beliefert wurden, und möglicherweise auch diese Fehlstellen aufweisen. Weshalb man davon ausgeht, dass die Fehler beim Schmieden entstanden sind, wird der Öffentlichkeit nicht mitgeteilt. Wäre der Fehler im Ausgangsmaterial der Firma Krupp zu finden, dann wären weltweit wesentlich mehr Atomkraftwerke betroffen. Aber auch hierzu liegen keine weiteren Informationen vor.

Wie geht es weiter?

Es wurde bekannt, dass die belgische Atomaufsicht (FANC) davon ausgeht, dass zumindest Doel 3 dauerhaft für die Stromversorgung verloren ist. Der Betreiber scheint jedoch schon fleißig damit beschäftigt, die Sicherheit des Reaktors nachzuweisen.
Es bleibt abzuwarten, ob die strukturelle Integrität des Reaktordruckbehälters neu berechnet wird oder ob eine „schnelle Lösung“ gesucht wird, indem einfach das Sicherheits­niveau herab gesetzt wird. Sollte eine Neuberechnung stattfinden, wäre von Interesse, ob bei der Berechnung auch heutige Sicherheitsstandards zur Grundlage gemacht werden oder ob einfach die Sicherheitsstandards der 1970er Jahre angesetzt werden. Die Berufung auf einen, wie auch immer gearteten, Bestandsschutz, um mit alten Sicherheitsstandards rechnen zu dürfen, wird der Öffentlichkeit kaum zu vermitteln sein. Walter Schumacher vom Aachener Aktionsbündnis gegen Atomenergie ist überzeugt: „Ein Weiterbetrieb der Anlagen wird nur möglich sein, wenn dabei bewusst ein herabgesenktes Sicherheitsniveau in Kauf genommen wird. Eine solche Absenkung von Sicherheitsstandards wäre aber absolut verantwortungslos.“

Aachener Aktionsbündnis gegen Atomenergie (http://www.anti-akw-ac.de)

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