Einmal Nachkarten: NRW-WAHL
26. Mai 2012 | Veröffentlicht von horst hilse / ws , Keine KommentareDie NRW-Wahl ist zwar seit zwei Wochen vorüber, aber uns erreichte jetzt eine Wahl-Analyse, in der – ausgehend von der jeweiligen Klassenlage der Wählergruppen – die Konsequenzen der Wahl für die einzelnen Parteien untersucht werden.
Nachkarten: NRW-WAHL (von Horst Hilse aus Köln)
Gesellschaftliche Krisensituationen, sind auf der politischen Ebene durch plötzliche Wendungen, unverhoffte politische Kurswechsel und unstetes Wahlverhalten gekennzeichnet. Dies ist unter parlamentarischen Bedingungen der Ausdruck von Unruhe unter den Klassen und ihren einzelnen Schichtungen.
Deutschland ist da keine Ausnahme und so befinden wir uns also im Mainstream europäischer Entwicklungen. Was das praktisch für Folgen haben kann, verdeutlicht sich in krasser Weise aktuell am Schicksal der Partei DIE LINKE.
Formation: DIE LINKE
Die Partei, 2005 im Westen mit der WASG gestartet, fusionierte im Sommer 2006 als kleine Gruppe mit dem eingespielten Parteiapparat der ehemaligen Staatspartei der DDR. Das Interesse der PDS bei der Fusion beruhte auf der Überwindung des Status einer Regionalpartei des Ostens. Das Interesse der WASG war in der Hoffnung begründet, dass damit die westdeutsche Linke Masseneinfluss erringen könnte. Mit sehr zweifelhaften Methoden aus der Taufe gehoben (Erinnert sei an die manipulierte Mitgliederbefragung zur Fusion sowie an das als ‚alternativlos‘ dargestellte Morlock-Gutachten, das dem Anwalt über 100 000 Euros aufs Konto schaufelte. 2006 aus dem Taufbecken gehoben, sollte sie eine „basisdemokratisch orientierte“ Partei „neuen Typs“ werden, “ die „von ihren Mitgliedern regiert wird „wie Klaus Ernst gemeinsam mit Gysi vor den Kameras verkündete.
Doch bereits 1 Jahre später war klar und deutlich der weitere Weg vorgezeichnet: ein gewählter Landesvorstand in Berlin wurde aus politischen Gründen seines Postens enthoben und durch einen Politkommissar ersetzt. Innerparteilich wurden Materialien der Geheimdienste aus den 50er ,60er, 70er Jahren zurecht gezimmert, um den Einfluss trotzkistischer Strömungen mit anonym bundesweit versendeten Pamphleten (Möbiusring) zu zerstören. Diese Vorgänge sowie erste bürokratische Drangsalierungen durch Lokalfürsten führten zu einer Rebellionsstimmung in den westlichen Landesverbänden, die sich in der „Kasseler Konferenz“ mit über 300 Teilnehmer/innen sowie in der Gründung des „Netzwerkes Linke Opposition“ manifestierte. Helmut Born und Manuel Kellner schrieben damals als isl-Vertreter:
„Wir sind keineswegs dagegen, sondern dafür, die Parteiform durch „basisdemokratische Elemente“ zu erneuern. Wir rücken kein Jota von unserer Kritik an der entstehenden neuen linken Partei ab, auch im Hinblick auf ihr absehbares organisatorisches Funktionieren. Es entsteht keine Partei „neuen Typs“, keine Partei, „die von ihren Mitgliedern regiert „ wird, sondern eine Partei, die von ihren Parlamentsfraktionen im Zusammenspiel mit ihrem Hauptamtlichen Apparat dominiert wird.“
Diese Einschätzung hat sich in der Folgezeit tausendfach bestätigt und hat bis heute ihre Gültigkeit nicht verloren. Auch wenn diese Partei bis 2009 einen wahren Höhenflug erlebte und die Hoffnungen vieler Menschen auf eine neue Kraft bündelte, so merkten doch die Mitglieder und Wähler sehr schnell, was Manuel und Helmut bereits 2007 auf den Punkt brachten.
Seit ihrem Zenit-Jahr 2009 verlor sie in 3 Jahren über 50% ihrer Wählerbasis. In Berlin wurden neoliberale Maßnahmen im Widerspruch zu programmatischen Erklärungen exekutiert und als dort die Linkspartei in zwei Wahlen hintereinander zuerst eine Halbierung ihrer Wählerzahlen erfuhr, und anschließend in der nächsten Wahl nochmals ein Drittel einbüßte, wäre in jeder anderen demokratischen Partei ein Rücktritt der Verantwortlichen, notfalls von der Parteibasis erzwungen, fällig gewesen.
NRW-Wahl
Insofern war die NRW-Wahl mit einer Bevölkerungszahl, die mehr als alle 5 neuen Bundesländer umfasst, ein Schlusspunkt am Ende einer unheilvollen schädlichen Entwicklung und ein Vorläufer für die Bundestagswahlen 2013.
Die harten Wahrheiten der NRW-Wahl: Die Linke verliert mit 90 000 Stimmen den größten Wähleranteil an die SPD und 80 000 an die Piraten, während 30 000 Wähler zu den Grünen gehen. 20 000 ihrer ehemaligen Wähler beteiligen sich nicht an der Wahl, während 10 000 die FDP wählen. Damit hat die Linke in NRW weniger Wähler an das Lager der Nichtwähler abgegeben, als zuvor in Schleswig-Holstein.
Zum Vergleich: Die Linke hatte bei der Landtagswahl 2010 in NRW 789.800 Stimmen erhalten, was 5,6% entsprach, während sie aktuell bei 194 539 Stimmen und 2,5% landete. Vor der Vereinigung, als noch PDS und WASG in NRW getrennt kandidierten, hatten beide Gruppierungen zusammen 254 977 Stimmen, also 60 000 Stimmen mehr erhalten, als heute.
Was sagen diese Zahlen aus?
Der größte Teil der verlorenen Linken-Stimmen mit 90 000 ging an die SPD. Vertreter der Linken behaupten anschließend, das sei derjenige Teil gewesen, der schon immer ein gemeinsames Zusammengehen mit der SPD gewollt habe. Das mag zutreffend sein, ist aber so nicht verallgemeinerbar.
Es gibt Traditionswähler der SPD, die sich von der Linken erhofft hatten, dass sie die SPD mal so richtig aufmischen würde. Stattdessen erlebten sie die Linken (medial, da die Partei vor Ort kaum existiert) als Mehrheitsbeschaffer für die SPD (was real nicht immer stimmt). Auf lokaler Ebene zeigte sich zudem sehr rasch, dass das Parteiprogramm beim täglichen Kleinklein keine Richtschnur für linke Politik war. Diese Erfahrung wurde durch das mediale Bild noch verstärkt und zeigte ihnen: alternative Politik ist mit denen nicht zu machen.
Die Rückwendung dieser linken Stamm-Wähler zur SPD hat teilweise resignative Züge, da die “SPD eben zu schlau“ sei. Andererseits dominierte der Wille, wie bei der übergroßen Mehrheit der übrigen Wähler auch, die Sparpolitik mit allen Mitteln zu stoppen Das ist realistischerweise nur möglich, wenn die SPD die kommende Regierung stellt. Da für diese Wähler eine andere Partei als die SPD nicht in Frage kommt, bleibt ihnen nur diese Option übrig.
Gerade bei Arbeitern mit niedrigerem Einkommen und bei Arbeitslosen, hatte DIE LINKE bei der letzten Wahl von allen Bevölkerungsgruppen die größte Zustimmung mit einem Prozentanteil von über 20%, bzw. ca.24% !
In beiden Wählergruppen ist die Linke aktuell massiv eingebrochen und wurde von den Piraten überholt.
Einige Gründe
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Ein weiterer scheinbarer Widerspruch wird bei den gewerkschaftlich Organisierten sichtbar: Obwohl diese Wählergruppe in mehreren Umfragen verschiedener Institute die größten Sympathien mit den Forderungen der Linkspartei bekundete und obwohl keine andere Partei in den letzten Jahren so viele gewerkschaftliche Themen aufgegriffen hatte, wie die Linkspartei, verlor sie gerade in dieser Gruppe der gewerkschaftlich organisierten überdurchschnittlich viele Wähler!
Die Übersetzung des Zahlenmaterials bei diesen 3 relevanten Klassengruppen besagt: Man traut der linken Truppe von Seiten der organisierten Kollegen eine Um- bzw. Durchsetzung der Forderungen nicht zu!
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Nichts ist für eine politische Formation bei organisierten Kollegen tödlicher, als wenn sie in den Ruf geraten, bloße Maulhelden zu sein, es aber „praktisch nicht zu können“. Die Abwendung dieser Wählergruppen besagt dann: „Ihr mögt ja in vielem Recht haben, aber für uns könnt ihr nichts heraus holen!“. Zusätzlich ist es ein ganzes komplexes Bündel, das den linken Sturzflug erklärt: Dazu gehört sicherlich das Bild der Zerstrittenheit, die fehlenden markanten Persönlichkeiten, die fehlende Parteipräsenz vor Ort, der völlig respektlose Umgang miteinander, der Versammlungs-Charakter verstaubter Hinterzimmer. Für neue Mitglieder, die nicht über die Strömungen rekrutiert wurden, ein wahres Horrorszenario. Selten haben so viele Mitglieder nach so wenigen Monaten die Partei wieder verlassen. Auch andere Parteien haben ganze Serien von Niederlagen er- und überlebt. Aber bei der Linkspartei sind die Überlebensbedingungen aus mehreren Gründen ausgesprochen schlecht:
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Durch den fehlenden Parteiunterbau, bzw. ein Parteileben gibt es keinen Basis-Druck, der Versager beiseite schiebt und die Situation personell bereinigt. Es ist schon erstaunlich, dass sich nach den Berliner Vorgängen in der Partei kein Entrüstungssturm erhob und dass Lederer, Wolff und andere aber 2009 weitermachten, als sei nichts geschehen. Auch die Psychiatrisierung missliebiger Parteimitglieder (Saarland) durch Vorstände hätte bei einer funktionierenden Partei massive Folgen haben müssen.
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Der Charakter der Partei im Westen ist der eines Umgruppierungsprojekts. D.h. Jede der Strömungen versucht als Sieger aus der Umgruppierung hervorzugehen. Die Bindung der Mitglieder liegt in erster Linie bei der Strömung, nicht bei der Partei, die eher eine koordinierende “ Dachfunktion“ wahrnimmt. Daher konnte sich keine verantwortliche Führungsmannschaft der Partei ausbilden, die aktuell dringend nötig wäre. Sie müsste die nötige Autorität strömungsübergreifend besitzen um die gewaltige Aufgabe einer umfassenden Reform und einen Neustart zu bewältigen. Lafontaine hatte im Westen als Person diese integrative Funktion. Trotzdem eine Herkulesaufgabe.
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Es war m.E. richtig, dass er dazu die gesamte Autorität, bzw. die Geschlossenheit der Partei einforderte und keine Gegenkandidatur dulden wollte. Dass die Medien ihm das ankreiden, während Westerwelle, Brüderle, Schäuble, Hinze u.a. keine Zeile wert sind, wenn sie sich ebenso verhalten, sagt etwas über die Macht der Medien aus. Anders ist dagegen dieses Verhalten unter dem Aspekt einer „neuen“ Linkspartei zu betrachten.
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Hinzu kommt die riesige Kluft zwischen den inhaltlichen Vorstellungen der parteilichen Flügel, Strömungen und Kleingruppen die oft bei Außenstehenden den Eindruck hinterlässt, man habe es mit 2, 3 vielen Linksparteien zu tun.
Demgegenüber ist die Bilanz auf parlamentarischer Ebene in NRW nicht einmal so schlecht:
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Die Studiengebühren wurden abgeschafft. Ohne die Fraktion DIE LINKE wäre das sicher noch nicht erfolgt. Wahlwirksam im Sinne von spürbar ist dieser Fortschritt dagegen eher nicht, da der überwiegende Teil der Linke -Wähler davon nicht betroffen ist.
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Die Kopfnoten wurden abgeschafft. Das Thema hat aber dann im Wahlkampf keine Rolle mehr gespielt. Ansonsten-siehe oben !
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Die Abwahl von Bürgermeistern per Volksentscheid wurde möglich gemacht und in Duisburg haben wir nach der love parade ein erstes Beispiel erlebt. Der neue Oberbürgermeister dort ist noch immer nicht gewählt.
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Es wurde mehr Geld für die Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt zur Verfügung gestellt. *Es wurden zusätzliche Steuerfahnder eingestellt, um Steuerhinterziehung wirksamer zu bekämpfen und damit mehr Steuergerechtigkeit herzustellen.
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Das Landespersonalvertretungsgesetz und damit die Mitbestimmungsrechte der Personalräte des Landes wurden verbessert. bzw. die Verschlechterung unter Rüttgers rückgängig gemacht.
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Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge durch das Land gelten jetzt seit 1. Mai Mindestlöhne.
Alle diese Fortschritte sind – außer Studiengebühren – immer nur bei kleinen Gruppen in der Gesellschaft real spürbar. Umso wichtiger wäre es gewesen, mit diesem parlamentarischen Pfund im Wahlkrampf zu wuchern:
Der Wahlkampf der Linkspartei
Motto hätte sein müssen: WIR haben die Landesregierung veranlasst, . WIR haben den Vorschlag unterbreitet, dass . . . WIR waren es, die . . . .
Es ist mir schlicht völlig unbegreiflich, warum die Linkspartei das nicht ganz plakativ in Wahlkampfmaterial umgemünzt hatte, nach dem Motto: NUR mit uns war es möglich.
Ganz anders dagegen die SPD, die diese auf Druck der Linkspartei zustande gekommenen „Erfolge“ landauf landab plakatierte: „Wir haben den Schulfrieden gebracht“ , “ wir haben das Studieren ermöglicht“, etc. etc.
Die Plakate der Linkspartei waren bieder, grafisch ohne pep und ideenlos. sie stellten zudem Forderungen auf, die nur auf Bundesebene umsetzbar sind: Truppenabzug Afghanistan, Millionärssteuer, etc. etc. Persönlich fand ich noch das beste: „Miethaie zu Fischstäbchen“.
Katarina Schwabedissen hat dagegen eine erstaunlich gute Figur abgegeben und hat sich nicht ins abseits schieben lassen. Sie hatte noch am ehesten den Eindruck vermitteln können, dass die Linkspartei etwas anderes darstellt, als die Etablierten. Ihre Konterattacken gegen das CDU-Argument „wie soll das bezahlt werden“ oder „wie wollen sie das durchsetzen“ waren schlagfertig, gut rübergebracht und als Person wirkte sie authentisch..
Andererseits aber wiederholte sie die völlig kontraproduktive Selbstdarstellung der Partei, dass sie es gewesen sei, die „ die Grünen grüner, die SPD sozialdemokratischer gemacht“ hätte. Das Signal an die Wähler lautet dann: toll, dann können wir ja die durch euch verbesserten Parteien auch wählen…
Die Piraten
Diese Protestformation zog nach Berlin, Saarbrücken und Kiel nun auch in den Düsseldorfer Landtag ein. Ihren Stimmenanteil von fast 609 000 Stimmen holten sie von überall: Sie gewannen Stimmen aus allen Lagern – 90.000 von der SPD, je 80.000 von den Grünen und der Linkspartei, 70.000 von Nichtwählern, 60.000 von der CDU und 40.000 von der FDP. Sie bilden eine klassische Protestformation: nur 30% ihrer Wähler wählten sie wegen ihrer Inhalte, aber über 66% erklären, dass sie Piraten wählen, weil sie den etablierten Parteibetrieb generell ablehnen und am liebsten abschaffen möchten..Sie fühlen sich von den Parteien verraten.
Im Gegensatz zur Zeichnung des medialen Bildes ist festzuhalten: Den höchsten Zuspruch bekommen diese Protestler von formal weniger gebildeten Bevölkerungsschichten und haben ihre höchsten %-Anteile unter Arbeitslosen und Arbeitern!
Bei den Arbeitslosen, die noch 2010 in NRW zu über 24% die Linke gewählt hatten, haben diese heute nur noch 11% , aber 18% dieser Gruppe gaben ihre Stimme den Piraten.
Insgesamt hat also die Unzufriedenheit unter Erwerbslosen noch erheblich zugenommen und wenn man Piraten und Linke zusammenzählt, kommen die Proteststimmen in diesem Wähler-Segment fast an den SPD Anteil von 32% heran. Im Gegensatz zum gezeichneten Medienbild sind die Piraten nicht in erster Linie eine großstädtische Protestpartei, worauf die Wahlerfolge in Schleswig- Holstein verweisen.
In N R W hatten sie ihre größten Erfolge in den mittleren Zentren. (Neuss/Siegen Wittgenstein/Brilon im Hochsauerland) Sie repräsentieren einen rebellionsbereiten Klassenteil, der keinerlei Bindung an irgendeine Form der Arbeiterbewegung mehr kennt. Dieser Umstand kann zukünftig bei weiteren Radikalisierungsprozessen in diesem Wählersegment durchaus eine Rechtsentwicklung bewirken. Ich denke, dass der fatale Rückzug des DGB´s aus der Fläche und die Konzentration auf die Großbetriebe als ein Aspekt bei der Analyse berücksichtigt werden muss.
Ganz im Gegensatz zur Linken und teilweise den Grünen, waren die Piraten bei jeder Protestwelle dabei und steigerten ihre Teilnahme von mal zu mal (S.21 – Bundestrojaner -Fukushima –- Fluglärm – ACTA – )
Ihre aktuelle Anziehungskraft gewinnen sie derzeit auch durch die innere Verfasstheit, z.B. im durch starke Mitgliederbeteiligung bei der Kandidatenauswahl. Gäbe es das „Kandidatengrillen“ bei der Linkspartei, wären nach meiner Schätzung mindestens ein Drittel ihrer Repräsentanten nicht dorthin gekommen, wo sie nun sitzen. Ausserdem haben die Piraten überwiegend ehrenamtliche Vorstandsmitglieder, die ansonsten ihrem normalen Beruf nachgehen.
Sozial repräsentieren die 30 Vorstandsmitglieder in NRW das untere Einkommensdrittel der arbeitenden Bevölkerung. Vom Busfahrer, Trucker und der Verkäuferin bis zum Fotohändler und IT-freak ist dort die „arbeitende Klasse“ viel genuiner präsent, als bei der Linkspartei. Man könnte sie als einen naiven unpolitischen Ausdruck von Klassenteilen kennzeichnen, die sich vom derzeitigen System abwenden, ohne in den Nichtwählerbereich zu wechseln. Natürlich wird das so nicht bleiben und die Differenzierung in dieser Formation wird sehr rasch einsetzen.
In ihrem Funktionärskörper finden sich in NRW langjährige Mandatsträger/innen der Grünen, Gründungsmitglieder der WASG sowie langjährige Antifa-Aktivisten. Damit besteht die auf 3000 angewachsene Mitgliederzahl keineswegs nur aus „unerfahrenen Leuten“.
Die Grünen haben in NRW durch die Piraten ebenfalls leicht an Stimmen(0,8%) eingebüßt, sind aber in etwa mit ihren 884 136 Stimmen stabil geblieben. Sozial gesehen hat sich durch die Verluste an die Piraten ihr Profil jedoch noch schärfer konturiert: Deutlicher noch repräsentieren sie hochgebildete Akademiker, gut verdienende Angestellte des Öffentl. Dienstes und Beamte.
Sie konnten ihr Umfragehoch nach Stuttgart 21 und Fukushima nicht halten und sackten unter die Umfragewerte ab.
Anmerkung zu Faschisten
Die NPD mit fast 40 000 und PRO NRW mit 118 000 haben zusammen trotz eines aufwändig medialen Provokationswahlkampfes mit über 20 „Moscheebesuchen“ und Kameradschaftsaufmärschen weniger Stimmen erhalten, als noch 2010 gemeinsam mit den Reps . sicherlich hat dazu auch das schnelle und entschlossene Vorgehen des NRW-Innenministers beigetragen, der die Pro´s und die Salafisten noch 4 Tage vor der Wahl mit Razzien überzog. Dass dabei bei einem Ratsmitglied der Pro´s in Radeformwald nach polizeilichen Angaben auch eine „Langwaffe“ gefunden wurde, war geradezu ein „Glücksfall“ für die Wahlkampfstrategen. Der Versuch ehemaliger Funktionäre von faschistischen Organisationen, sich über die Pro-Bewegung einen „bürgerlichen anstrich2 zu geben, darf als gescheitert betrachtet werden. Dazu hat sicherlich auch die massive antifaschistische Gegenwehr beigetragen, die bis tief in die SPD hineinreichte.
Verlassen wir die unteren Etagen kommen wir zur Bundesliga.
Die SPD hat einen fulminanten Sieg in NRW eingefahren: mit 3 050 000 Wählern hat sie die CDU um eine Million Stimmen abgehängt und weit hinter sich gelassen. Ein extrem personalisierter Wahlkampf, eine aufgeputzte Parteimaschinerie und ein hoher Kompetenzbonus hat ihr den Sieg gesichert.
Sie repräsentiert in NRW heute den in ganz Europa spürbaren Klassenwillen zum Widerstand: Schluss mit der Sparpolitik!
Sie wird als die Kraft angesehen, die realistischerweise in der Lage sein soll, die merkelsche Sparpolitik zu beenden.
Bei dem Sieg der SPD gilt es m.E. zwei für Linke bemerkenswerte Umstände zu beachten: erstmals seit 1995 gelang es ihr – bisher als einziger Partei – bei den bisherigen jungen Nichtwählern unter 25 Jahren und in der Altersgruppe der Wähler bis 29 Jahre große Einbrüche zu erzielen. Insgesamt mobilisierte sie 110 000 bisherige jüngere Nichtwähler. In der Altersgruppe der bis 29jährigen wurde sie von 32% gewählt, während die CDU in dieser Altersgruppe bei 16% dümpelt!
2 Tage vor der Wahl organisierte sie im Ruhrgebiet mit Falken und Jusos ein großes „workers meeting“ mit einer großen Teilnehmerzahl. Wenn also eine Partei in NRW derzeit als attraktiv bei den jüngeren Jahrgängen gilt, dann ist es die alte, verstaubte, verkommene SPD. Dies widerspricht dem von den Medien vorgezeichneten Jugendbild diametral und es ist eine Aufgabe für uns, diesen Tatbestand näher zu untersuchen.
Vergessen wir nicht, dass besonders Jugendliche heute unter Mehrfachjobben, sozialer Not und Ausgrenzung zu leiden haben.
Der fulminante Wahlsieg birgt für die SPD Gefahren, die aus ihrer politischen Klassenstellung herrühren: Die Erwartungshaltung der Klasse gegenüber der Partei ist hoch und SPD-Chef Gabriel stellt die europaweite gewerkschaftliche und sozialdemokratische Forderung nach einem zusätzlichen Wachstumspaket zur Ankurbelung der Konjunktur in den Raum. Zugleich beteuert er in Interviews, dass er weder die Schuldenbremse im Grundgesetz, noch den europäischen Fiskalpakt in irgendeiner Weise infrage stellt. Wie dieser Spagat angesichts leerer öffentlicher Kassen gelingen soll, ist ein Geheimnis.
Die Forderung nach einer gerechteren Lebenssituation für die Klasse wird ohne weitere Schulden kaum durchsetzbar sein. Bereits in der zweiten Woche nach der Wahl erleben wir, wie bewusst sich die SPD-Führung dieser Situation ist: Hannelore Kraft eilt in die Betriebsversammlung bei Opel, um, wie sie sagt „die Sache in die Hand“ zu nehmen. Sie fordert vor der versammelten Belegschaft den Vorstand von General Motors zu sofortigen Gesprächen mit der Landesregierung NRW auf. Der anwesende Betriebsdirektor übergeht das schlicht und lässt sie kalt auflaufen.
Ich vermute mal: kann sie dem Konzernvorstand kein „lukratives“ Angebot vorlegen, wird der amerikanische Konzern keinen Anlass sehen, sich mit der Provinznudel „aus´m Pott“ an einen Tisch zu setzen. Ganz verzweifelt musste der Opel-Betriebsrat Einenkel (der zum linken Gewerkschaftsflügel zählt) letzte Woche zuschauen, wie die Gewerkschaften des englischen Zweigwerks zugleich auf Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld und Zulagen verzichteten, um wenigstens ihre Arbeitsplätze zu erhalten. Er schrieb einen flehentlichen Appell zur europäischen Solidarität an alle Betriebsräte der Werke des Kontinents und forderte europaweite Kampfbereitschaft. Die Kollegen der anderen europäischen Staaten dürften sich verwundert die Augen gerieben haben, sind doch solche Töne aus Germoney recht ungewöhnlich. Und Opel ist erst der Anfang, da durch die europaweite Sparpolitik der deutsche Auslandsmarkt im Kontinent wegzubrechen droht. Der asiatische Exportanteil wird das dauerhaft nicht kompensieren können.
Das bedeutet auch, dass die SPD sehr schnell innere Auseinandersetzungen erleben wird. Bereits jetzt schießt sich Helmut Schmidt mit der „Zeit“ auf die SPD-Linke ein: Die „Illusionisten“ werden gebrandmarkt, die von Frankreich angesteckt sein könnten und Fiskalpakt und Schuldenbremse in Zweifel ziehen wollen. Schmidt kennt seinen Laden und arbeitet also bereits jetzt innerparteiliche Brandmauern, da er weiß, dass die SPD spätestens 2013 Regierungsverantwortung übernimmt.
Die CDU hat mit 2 050 000 Stimmen das schlechteste NRW Ergebnis seit 1947 (vor den Kämpfen um das Betriebsverfassungsgesetz) eingefahren und Merkel weiß, dass seit Mai der Bundestagswahlkampf 2013 eröffnet ist.
Die Lage für die CDU ist katastrophal: In NRW sind 110 000 Stammwähler der Wahl ferngeblieben. Erste Umfragen nach den Motiven führen die Energiewende und Kandidat Röttgen an. Es geht also nicht – wie die Medien behaupten – in erster Linie darum, dass Röttgen sich nicht zum Verbleib in NRW oder Berlin äußern wollte. Es geht auch um das mit seiner Person verknüpfte Merkel-Projekt!
Das NRW-Menetekel: Bei den unter 29 jährigen hat die CDU nur noch 16% Stimmenanteil. Aus CDU- Sicht haben die Gegner (SPD,GRÜNE,PIRATEN,LINKE) zwei Drittel der Wählerschaft hinter sich. Seit Monaten zeigt das sonntägliche Politbarometer ähnliche Werte für die ganze Republik an. Es gibt eine strukturelle Mehrheit gegen die Hornissen-Koalition aus schwarz-gelb.
Bisher hatte Merkel alle größeren Auseinandersetzungen geschickt vermeiden können: es wurde nicht allzu bösartig gespart, sie hat den Libyenkrieg nicht mitgetragen, sie hat die Energiewende beschlossen, sich bestens mit den Gewerkschaften arrangiert, übernimmt von den Linken die Forderung nach Mindestlohn und Transaktionssteuer und doch hat es den Anschein als ob dieser Opportunismus von den Wählern nicht honoriert wird. Zudem wird ihre Gefolgschaft zunehmend mürrisch und verweigert sich immer entschiedener dem Weg der eisernen Preussenlady.
Röttgen sollte es sein, der den Beschluss zur Energiewende zügig und elegant noch vor der Wahl mit Leben erfüllt und umsetzt. Aber er hatte nicht nur die Energiekonzerne gegen sich, sondern auch große Teile der eigenen Partei. Bei dieser Konstellation wird auch Altmeier scheitern und damit ist ein zugkräftiges Wahlkampfthema für die bevorstehende Bundestagswahl verloren. Die Panik und die Wahlniederlage werden wahrscheinlicher.
Während die SPD versuchen muss, die strukturelle Mehrheit politisch umzusetzen, weiß die CDU nicht, womit sie ihre Reihen schließen kann und ein zugkräftiges Wahlkampfthema kreieren könnte.
Die blockupy – Notstandsübung in Frankfurt am vergangenen Wochenende zeigte überdeutlich, wo sich Teile der CDU-Basis verorten. Vom Polizeichef und Bürgermeisteramt bis zum Verwaltungsleiter haben alle das Merkel-Parteibuch in der Tasche. Gestützt von den Frankfurter Grünen sind sie bereit, den Marsch in die Polizeidiktatur anzutreten. Wenn sich ihre ‚law and order‘ Vorstellungen in der CDU als mehrheitsfähig erweisen sollten, dürfte es zu starken Polarisierungen kommen.
Um genau das zu verhindern werden die „rolling stones“ der SPD gemeinsam mit der Preussenlady den Versuch zu einer großen Koalition wagen.
Eine Linke ist dringend notwendig, auch wenn es zweifelhaft ist, ob es DIE LINKE sein muss !
horst hilse (SOKO KÖLN)
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