„Du kannst Deinen Computer ausschalten und bist immer noch betroffen.“
22. Februar 2014 | Veröffentlicht von Hannes Rader / ws, Keine KommentareWer glaubt, verschlüsselte Mails, sicheres Surfen und Anonymität im Internet sei nur was für Technikfreaks und Heavy-User, wurde am vergangenen Donnerstagabend eines besseren belehrt. Prism, Tempora & Co. – Säulen der Freiheit oder Grabsteine der Demokratie? hieß die Veranstaltung zu der Attac Aachen gemeinsam mit der VHS geladen hatte und dabei erstmalig mit dem Chaos Computer Club (CCC) und der Piratenpartei kooperierte. Etwa 40 Interessierte waren zur Veranstaltung gekommen, die sich in drei Teile gliederte.
Teil I: Die Instrumente der Überwachung
Mira vom CCC erläuterte zunächst – sachbedingt natürlich techniklastig – aber dennoch verständlich, die verschiedenen Mittel, Maßnahmen und Instrumente, die Geheimdienste verwenden, um unsere Kommunikation aufzuzeichnen, zu speichern und anschließend auszuwerten. Zur Sprache kamen dabei Instrument wie XKeyStore, LIMS, das Programm Quantum und andere mehr.
Teil II: Grabsteine der Demokratie
Thomas Woerpel von Attac Aachen beleuchtete in seinem Beitrag sodann die gesellschaftlichen Auswirkungen der Überwachung und appellierte eindringlich an seine Zuhörer, endlich zu begreifen, dass die Folgen der Überwachung keineswegs nur im digitalen Raum, sondern gerade eben auch schon jetzt in der „analogen, echten Welt“ wirken.
Anpassung & Selbstzensur
Permanente Überwachung und das Wissen darüber löse im Menschen Anpassungsdruck und Selbstzensur aus. Eine Gesellschaft, die Überwachung als Selbstverständlichkeit erachtet, definiert implizit Normen bzw. das von diesen Normen abweichende Verhalten. Hier stelle sich sofort die Frage, wer – und vor allem mit welcher Intention – die Definition von abweichendem Verhalten aufstellt. Diese Entscheidungen müssten eigentlich in einem demokratischen Prozess gefunden werden. Tatsächlich aber wird diese Diskussion nicht geführt. Vielmehr entstehen diese Normen quasi informell und verdeckt durch Pressuregruppen im Hintergrund.
Solche implizit entstehenden Normierungen stehen konträr zur informationellen Selbstbestimmung, die erst vor drei Jahrzehnten, im Zusammenhang mit der damaligen Volkszählung, vom Bundesverfassungsgericht in den Rang eines Grundrechtes erhoben wurde. In der Begründung heißt es:
„Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß.“
Das Gegenteil von Freiheit
Peter Schaar, ehemaliger Bundesdatenschutzbeauftragter, wurde mit folgenden warnenden Worten zitiert: „Es geht nicht mehr um die Frage, wie entfalten wir uns, sondern um die Frage, wie schaffen wir es, nicht aufzufallen. Das ist das Gegenteil von Freiheit.“
Neben der kulturellen Phasenverschiebung, die typischerweise Ausdruck einer Überforderung ob der rasanten technischen Entwicklungen ist, sei es insbesondere aber auch unsere eigene Verharmlosung und Nicht-Wahrnehmung des Risikos, die dem schleichenden Umbau des Rechtsstaates zum Überwachungsstaat – respektive Präventivstaat – Vorschub leiste. Die Büchse der Pandora sei also längst geöffnet, lediglich die Frage, wie die Zivilbevölkerung darauf reagiert, noch unbeantwortet.
Teil III: Digitale Selbstverteidigung
Michael Sahm von der Piratenpartei stellt den Zuhörern anschließend Mittel und Wege – im Tech-Sprech auch gerne Tools genannt – vor, die uns helfen sollen, uns zu wehren. Neben Möglichkeiten der Mailverschlüsselung wurde auch beschrieben, wie man anonym(er) im Internet suchen, finden, surfen, telefonieren und chatten kann. Tools und Anbieter findet man auf dieser Seite: http://www.piratenpartei-aachen.de/flyer/000-linkliste/
Fazit
Als fader Beigeschmack dieses Abends bleibt die fatale aber dennoch triviale Erkenntnis, dass weder Mailverschlüsselung noch andere technische Maßnahmen den Einzelnen vor Übergriffen von Staat und/oder Geheimdiensten schützen kann. Wer auf ihrer Liste steht, wird über kurz oder lang auch identifiziert werden können. Dennoch bleibt die Hoffnung: Wenn Verschlüsselung und anonyme Netznutzung zur Normalität werden, ist dies nicht nur eine Willensbekundung seitens der Zivilbevölkerung sondern wird wesentlich auch die Definition von Norm und abweichendem Verhalten mitbestimmen.
Kryptoparties
Wer die Kunst der digitalen Selbstverteidigung lernen möchte, hat dazu zahlreiche Möglichkeiten und bekommt von allen Seiten Hilfestellung. Als Nachfolgeveranstaltung der hier beschriebenen Veranstaltung wird es in den Räumen der VHS eine Kryptoparty geben. Jeder Interessierte kann seinen Laptop mitbringen und sich zeigen lassen, wie man Mails verschlüsselt und anonymer im Netz surft. Die Piratenpartei veranstaltet außerdem jeden zweiten Montag eine parteineutrale Kryptoparty im Restaurant Homeburgers.
Nachlese
Alle Präsentationsfolien der Redner wurden auf den Seiten von Attac Aachen veröffentlicht und können dort heruntergeladen werden. Die Details zur Nachfolgeveranstaltung (Datum, Uhrzeit, Ort) werden auch auf den Seiten der VHS Aachen veröffentlicht werden.
Die Kommentarfunktion für ältere Artikel ist geschlossen.
Bitte bleibe mit Deinen Kommentaren sachlich und respektvoll.
Kommentarregeln:
An jedem Artikelende gibt es eine Kommentarfunktion. Diese ist für 6 Tage nach Erscheinungsdatum freigeschaltet, danach ist die Kommentarmöglichkeit geschlossen.
Richtlinien für die Kommentare:
(maximal ca. 2500 Zeichen)