Blockadebündnis durchkreuzt Polizeitaktik

9. April 2012 | Veröffentlicht von Markus Dahlem / aw, Keine Kommentare

Wiedereinmal wollten am 7. April Faschisten durch Stolberg ziehen, um bei dem sogenannten „Trauermarsch“ den Tod eines Jugendlichen für ihren Rassismus auszunutzen.

Da dieser Spuk nun schon im fünften Jahr angekommen ist, erwartete niemand mehr eine Überraschung. Das Bündnis gegen Radikalismus veranstaltet ein Stadtfest gegen Extremismus, Nazis marschieren durch die kleine Stadt und verbreiten Terror und ein paar Aufrichtige kämpfen an vorderster Front. The same procedure as every year, oder doch nicht?

Tatsächlich sah alles am Anfang so aus, als wenn die Polizeiführung einmal mehr mit einem überdimensionalem Aufgebot dem faschistischen Aufmarsch den Weg frei machen würde. Die Taktik die Nazigegner, die am Hauptbahnhof ankamen in Busse zu verfrachten und aus dem Gefahrengebiet hinauszufahren, war sicherlich keine schlechte Taktik, doch unterschätzte die Polizeiführung schon hier den Widerstandswillen der Antifaschisten. Wenige Minuten später war klar, dass 1500 Polizisten vor den Blockierern vorerst kapitulieren mussten. Ungefähr 100 Nazigegner schafften es die Zugstrecke zur Startkundgebung der Nazis zu blockieren. Damit bewiesen die Blockierer, dass eine Blockade auch in der Kleinstadt funktionieren kann und das die Polizeibehörde weit weniger eine Übermacht ist, wie manch einer glaubt. Denn die Polizei war vor Ort völlig überfordert, denn diese Situation war anscheinend vorher nicht besprochen worden, schließlich kommt Arroganz immer vor dem Fall. Nachdem man sich geordnet hatte setzte man auf ein martialisches Auftreten, vielleicht in der Hoffnung die Blockierer zu provozieren. Diese blieben aber ruhig und hielten sich an den Konsens des Blockadebündnisses, dass von ihnen keine Eskalation ausginge. Im Gegenteil, man versuchte mit der Polizei zu verhandeln und eine friedliche Lösung zu finden. Als klar wurde, dass die Nazis nicht über dieses Gleis anreisen konnten, wollten die Blockierer friedlich das Gleis verlassen. Die Polizeiführung fühlte sich eventuell aber so blamiert, dass sie kein Erbarmen mit den Antifaschisten zeigen wollte und sperrte die Menschen für fünf Stunden in winzige Käfige. Das die Polizei auf eine solch große Gruppe nicht vorbereitet war, zeigte schon die Tatsache, dass die Käfige nicht ausreichten und so wurde ein Teil der Nazigegner in den Gefangenenbussen festgehalten.

Gerne verkauft die Polizei das Bild, dass die „gewaltbereiten Linksautonomen“ die Situation zum eskalieren bringen, aber an diesem Samstag in Stolberg wollte die Polizeiführung jede Deeskalation verhindern, dennoch ließen sich die Nazigegner nicht provozieren und blieben bei ihrem friedlichen Protest. Es war offensichtlich, dass auch einige Polizeibeamten die Haltung ihrer Führung nicht nachvollziehen konnten.

Nazis laufen und doch ist es kein Erfolg

Was auch an diesem Stolberg-Wochenende gleich blieb, war die Tatsache, dass 250 Faschisten marschieren konnten. Zwar wurde ihnen der Zutritt zum „Tatort“ verwehrt, da das Blockadebündnis „Stolberg Nazifrei“ hier eine Kundgebung angemeldet hatte, ansonsten wurde die Aufmarschroute jedoch nicht verkürzt.

Dass das Bündnis gegen Radikalismus sich den Erfolg dieses Tages auf die Fahnen schreiben wollte, erscheint dagegen etwas merkwürdig. Dieses Bündnis veranstaltet seit 2008 ihre Aktionen. Dennoch konnten diese die Nazis niemals ärgern. Natürlich gingen die Zahlen der Nazis etwas zurück im Vergleich zum ersten Aufmarschjahr, aber sie blieben konstant und besonders der seit 2009 eingeführte Fackelmarsch wurde immer beliebter und erreichte 2010 eine Besucherzahl von 230 und 2011 von 175 Faschisten. Eine gewisse Schwankung der Teilnehmer ist immer normal, dennoch blieb die Zahl der Nazis konstant. Erst in diesem Jahr mussten die Nazis deutliche Verluste bei den Teilnehmern hinnehmen. Am Fackelmarsch nahmen gerade noch 45 Faschisten teil und am Trauermarsch eben jene erwähnten 250. Dies als Erfolg eines abstrakten und die Nazis nicht berührenden Protestes zu werten, entfernt sich jeder Realität. Vielmehr muss man zwei Variablen beachten, wenn man den Rückgang erklären möchte. Die eine ist offensichtlich. Die Inhaftierung einiger Führungskader der Faschisten im Vorfeld der Aufmärsche dürfte den Faschisten enorm weh getan haben und ihre Strukturen geschwächt haben. Dies ist vor allem zu beachten bei den nächsten Aufmärschen, denn die Nazis nun für tot zu erklären, wäre ein grober Fehler. Die zweite Variable sind die Aktionen des Blockadebündnisses, das seit 2011 dem Aufmarsch effektiv entgegen tritt. Die Verzögerung von vier Stunden im letzten Jahr dürfte vielen Nazis nicht gefallen haben und so ist es mehr als verständlich, dass Nazis jene Aufmärsche verstärkt meiden, bei denen sie Demütigungen wie in Dresden, Jena und Köln erwarten müssen. Wo die Präsentation der eigenen Stärke nicht mehr möglich ist, wo Nazis ohne die Unterstützung der Polizei nicht mehr marschieren können, dort lässt sich nur schwer eine „revolutionäre“ Bewegung präsentieren. Ein ausgerolltes Bettlaken dagegen, dürfte die Faschisten lediglich zum schmunzeln bringen.

Zweifelhafter Aufmarsch der „Demokraten“

2012 ist jedenfalls ein Jahr, wo der Aufmarsch der Nazis fast zur Nebensache wird. Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit auf Seiten der Polizeiführung, die taktisch klügeren Blockierer und ein eher weltfremdes Bündnis machen die größeren Schlagzeilen. Denn betrachtet man den Aufmarsch des Bündnisses gegen Radikalismus, so kommt die Frage auf, ob wirklich alle Gruppen an diesem Tag ein Zeichen gegen Rechts setzen möchten? So hält zum Beispiel die Junge Union Schilder gegen Extremismus hoch, auf denen nur ein Steinewerfer zu sehen ist. Ein Schild mit einem als Nazi zu erkennendem Motiv sieht man nicht. Wo gegen möchte die Junge Union an dieser Stelle demonstrieren? Wohl nicht gegen rechtes Gedankengut. Schließlich haben sie sich in den letzten Monaten mehr als genug Mühe gegeben Protest von „links“ zu diskreditieren. Folglich protestieren sie gegen „links“. Fast schon humoristisch mutet dann die Tatsache an, dass direkt hinter der Jungen Union die Partei die Linke läuft. Will die Linke Stolberg damit sagen, dass sie selbst auch gegen linke „Steinewerfer“ sind? Hätten die Mitglieder dieser Partei nicht vielmehr auch die Blockierer unterstützen müssen? Wer auf allen Hochzeiten tanzen will, verliert dabei manchmal den eigenen Takt oder die Glaubwürdigkeit.

 (Name des Autors wurde geändert, ist der Redaktion aber bekannt.)

 Zu diesem Artikel gibt es einen Leserbrief von Detlef Peikert

und noch ein längeres Interview

 

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