BGE oder NichtSein, das ist hier die Frage!

18. März 2019 | Veröffentlicht von Eva David-Ballero / ws, Keine Kommentare

Bericht zu einer linken Veranstaltung

Eigentlich sollte das linke Herz doch vor Freude springen angesichts des mit 200 BesucherInnen prall gefüllten Vortragssaales in der ESA Aachen, gestern am 13. März, 18 Uhr. Immerhin ging es um nichts weniger, als um die soziale Gretchenfrage der Zeit:
„Wie halten wir´s mit dem Vorschlag des Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE)?“

Der Vortrag von Prof. Dr. Butterwegge stand im Rahmen der Reihe Einwände! und hatte zum erklärten Ziel, die Idee des BGE für keinen gangbaren Entwurf gegen die Verwerfungen der seit 2005 sich langsam aber sicher abzeichnenden „Hartz-Reform“ zu halten (Thema des Vortrags: „Das bedingungslose Grundeinkommen ist die überzeugende Antwort auf die Digitalisierung – EINWAND: Es wäre der Todesstoß für den Sozialstaat“)
Nach 90 Minuten Vortrag und Diskussion fühlten sich aber weder die sachkundigen Zuhörer noch der Professor der Sozialwissenschaften in ihrem z.T. lautstarken Dissens verstanden.

Was war passiert?

Ein paar Vertreter der Arbeitsgruppe BGE, die sich vermutlich schon seit Jahr und Tag mit diesem Thema beschäftigen, wurden vom Professor innerhalb von 45 Minuten eines Besseren belehrt: Das BGE – und zwar das Modell der bekannten, eher konservativen Vertreter – tauge nichts. Unverständnis und Empörung auf der anderen Seite, was Prof. Butterwegge nicht nur einmal mit flapsigen Bemerkungen kommentierte, wie „Jetzt kocht aber die Volksseele!“ bedient.

Da stellte sich dann schon die Frage, ob sich der Referent angemessen auf diesen Vortrag und die zu erwartenden Aspirationen der Besucher eingestellt hatte oder dies überhaupt wollte.
Zumindest sei soviel gesagt, dass der Verkauf der Butterwegge´schen Bücher mitsamt ihrer Signierung eine nicht unerheblich Rolle im Vortrag spielte, worüber auch Unmut hörbar wurde.

Den Eindruck mangelnder Vorbereitung stützen weitere Beobachtungen:
Im ersten Teil seines Vortrags ging es um die Darlegung seiner „Skepsis“ gegen die von der SPD in Aussicht gestellte „Reform“ von Hartz IV und mit der verbunden noch einmal die Erläuterung des Entschlusses der rot-grünen Koalition 2005, das System der Arbeitslosenversicherung zu „reformieren“ (zu diesem Zeitpunkt bezogen 1,2, Mio. Menschen ALGII).

„Hartz IV“ als Verarmungsprojekt

Butterwegge konstatiert hier korrekt, dass es sich mit der Einführung der neuen „Sozialhilfe“ (alias Hartz IV) um ein „riesiges Verarmungsprojekt“ gehandelt hat.
15 Jahre nach diesem Schlag gegen Arbeitslose, Niedriglöhner, Menschen in sozial prekären Lagen, durch den in Deutschland nun schon prekäre Folge-Generationen, der Anstieg der Bildungsnachteile, Armut von Kindern deutlich spürbar sind, beschäftigt sich eine linke Öffentlichkeit mit dem bedingungslosen Grundeinkommen für alle (1000 Euro).

Wohlgemerkt: Es ist NICHT das Thema, wie es zu der gezielten Schaffung eines Lumpenproletariat 2.1 gekommen ist, nämlich DURCH die neoliberale Keule der rot-grünen Bundesregierung zu Beginn des 21. Jahrhunderts.
Dabei legte Herr Butterwege ausdrücklich Wert auf den ökonomischen Aspekt des BGE.
Aber hat er die Bezeichnung und Charakterisierung dieses Wirtschaftssystems einfach nur vergessen, oder glaubt er tatsächlich, dass die Rückkehr zum Bismarckschen Sozialstaat das Problem löst, dass langsam aber sicher auch weite Mittelschichten von der Prekarisierung durch den globalen Finanzkapitalismus betroffen sind und betroffen sein werden?

Wenn man heute nicht erklärt, warum unsere JETZIGE junge Generation von ihrer Rente nicht wird leben können und dass der Mindestlohn nicht ein Naturgesetz ist, sondern das Resultat einer systematisch betriebenen Verelendung eines Viertels unserer Gesellschaft (mit steigender Tendenz) durch systematische Beraubung ihres Anteils am Wertschöpfungsprozess ist, dann geht man vielleicht irgendwann solchen Phrasen und utopischen Vorstellungen wie der „ausgehenden Arbeit“ oder der „Selbstverwirklichung durch Nicht-Arbeit“ auf den Leim und meint DESHALB sei nun ein BGE notwendig.

Notwendige Vorabklärung: Kritik an Hartz IV von links oder von rechts?

Umso wichtiger wäre also zu klären, ob die Kritik am BGE aus der linken oder aus der rechten Ecke kommt. Aber genau das gelang dem Professor nicht:
Er klärte NICHT, dass die jetzige, zutiefst unwürdige Situation die zynischste Folge neoliberaler Arbeitsmarktpolitik ist, gegen die man in erster Linie zu kämpfen habe, noch nahm er die durchaus überlegenswerten Vorschläge grüner und linker Vertreter des BGE auf hinsichtlich dieser Frage. Störend auch die mehrfachen Verweise auf seine C4 Professur [1], seine gute Pension und seine Produktivität als Buchautor.

Leider lehnte er seine Bezeichnung als „Armutsforscher“ ab.

Schade eigentlich: Der faktisch bestehende „Krieg gegen die Armen“ könnte ein paar Fürstreiter im erlauchten Kreise der Sozialwissenschaften gut gebrauchen.
Und die gesellschaftliche Funktion der Sozialwissenschaften, die die Produktionsverhältnisse NICHT zum Thema macht, bestätigt sich – hier einmal mehr – als nützliche Framing-Produzenten.

——

[1] „C4-Professur“ ist für ältere und universitätserfahrene Menschen DAS Synonym für ein gesichertes und hohes Einkommen, ein sehr privilegiertes Leben und ein sehr komfortables Alterseinkommen!

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