Anhörung zum Kugelhaufenreaktor Jülich

3. Juni 2014 | Veröffentlicht von Rainer Moormann / ws, Keine Kommentare

Durch den Jülicher AVR-Atomreaktor bestand für Aachen viele Jahre ein großes Risiko, welches aber von den Betreibern aber immer herunter gespielt wurde. Die dauerhafte Kritik am AVR hat nun dazu geführt hat, dass seit dem 26.4.14 ein „offizieller“ (kritischer) Expertenbericht zum Betrieb des Jülicher Versuchs-AKW AVR auf der webseite des Forschungs-Zentrum-Jülich (FZJ) verfügbar ist. Mit den Verfassern dieses Berichts gibt es am kommenden Dienstag, (10.06.14) um 18:00 im TZJ (Jülich) eine öffentliche Diskussion. Fragen könnten über die Webseite bis zum 05.06.2014 beim FZJ eingereicht werden.

Rainer Moormann hat uns hierzu folgenden Hintergrundbericht zur Verfügung gestellt.

Vorgeschichte

Seit 2006 gab es erhebliche Zweifel, dass der AVR-Betrieb – wie von den Kugelhaufenbefürwortern aus Jülich, Aachen usw. immer wieder beteuert – erfolgreich sowie ultrasicher war und damit als Referenz für einige geplante Kugelhaufenreaktoren (Südafrika/2010 gescheitert, China) dienen könne. Von Kritikern wurden vielmehr ganz gravierende Zwischenfälle und Störfälle, sowie ein hochgefährlicher Betrieb vermutet, der auch für die unbestreitbar extrem hohen Entsorgungskosten verantwortlich sei. FZJ führte 2007 eine interne, vertrauliche Untersuchung durch, die bereits einige gravierende Mängel zu Tage förderte. FZJ plante darauf hin, Interessenten an der Kugelhaufentechnik öffentlich zu warnen. Es gelang der immer noch einflussreichen Kugelhaufenlobby aber, vermutlich über die Landesregierung als FZJ-Gesellschafter, das FZJ davon abzubringen. Dabei dürfte eine Rolle gespielt haben, dass das Geschäft mit Südafrika zum Bau eines Kugelhaufenreaktors damals erhebliche Mittel nach Jülich und in die deutsche Nuklearindustrie spülte. FZJ und AVR GmbH verweigerten ab 2008, unterstützt von der damaligen Landesregierung, weitere Untersuchungen und förderten sogar Ausbau der Reaktorforschung und den Export der Kugelhaufentechnologie. Erst mit dem NRW-Regierungswechsel 2010 änderte sich das und eine Untersuchung wurde im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Es dauerte aber bis zur Fukushima-Katastrophe 2011, bis eine Expertengruppe von FZJ und AVR GmbH eingesetzt wurde. Die Expertengruppe besteht aus 4 Mitglieder, von denen jeweils zwei als tendenzielle Befürworter bzw. Kritiker der Kernenergie einzuordnen sind.

Arbeit der Expertengruppe

Nach meiner Einschätzung haben FZJ und AVR GmbH eine echte Aufklärung nicht gewollt. Dafür spricht, dass in einem internen Bericht der Expertengruppe 2012 an den FZJ-Aufsichtsrat, d.h. nach einem Jahr Arbeit, davon die Rede ist, dass aufgrund der vorliegenden Unterlagen keine gravierenden oder unzulässigen Vorkommnisse erkennbar sind: FZJ und AVR GmbH hatten nämlich offenbar auf die entscheidenden Unterlagen nicht hingewiesen bzw. diese zurückgehalten. Darauf hin habe ich mich mit meinen für ein in Arbeit befindliches Buch (das ich zusammen mit dem Umweltjournalisten Jürgen Streich über das Jülicher Atomdebakel schreibe) gesammelten Informationen an die Expertengruppe gewandt. Ich vermute, dass erst mit diesen Informationen, die FZJ und AVR GmbH dann notgedrungen bestätigen mussten, der Bericht in seiner heute vorliegenden Form möglich wurde. Nach meiner Beobachtung halfen FZJ und AVR GmbH nicht aktiv bei der der Aufklärung, sondern räumten nur solche Probleme ein, die nicht mehr abzustreiten waren.

Der Bericht

Es handelt sich um einen vorsichtig formulierten wissenschaftlichen Bericht, der für Laien, welche die Hintergründe nicht kennen, nicht leicht zu lesen ist. Außerdem handelt es sich bei diesem Bericht um ein gemeinsames Votum aller Mitglieder der Expertengruppe, er wird also von den Kernenergiebefürwortern mitgetragen. Das hat vermutlich an manchen Stellen Kompromisse verlangt.
Insgesamt bestätigt der Bericht weitgehend die Position der Kritiker, an manchen Stellen allerdings nicht aufgrund von eigener wissenschaftlicher Bewertung der Expertengruppe, sondern aufgrund der Tatsache, dass FZJ und AVR GmbH trotz mehrfacher Aufforderung keine Unterlagen vorlegen konnten, welche geeignet gewesen wären, die Positionen der Kritiker zu entkräften. Das gilt insbesondere für den besonders heiklen Punkt des Wassereinbruchstörfalls: Bei diesem wird von Kritikern einerseits ein nukleares Durchgehen, u.a. ähnlich dem in Chernobyl, für möglich gehalten (Prof. Benecke und Mitarbeiter). Außerdem behauptet Moormann, dass der Wassereinbruchstörfall als Auslegungsstörfall wegen der unstrittig viel zu hohen Kerntemperaturen nicht beherrschbar war, sondern zu einer chemischen Explosion (ähnlich Fukushima) mit Zerstörung des Reaktors geführt hätte. Ein Reaktor, der Auslegungsstörfälle nicht beherrscht, ist auch nach Atomrecht unsicher und darf grundsätzlich nicht betrieben werden, da die Beherrschung von Auslegungsstörfällen eine entscheidende Genehmigungsvoraussetzung ist. Beides war von den HTR-Befürwortern im Vorfeld zwar vehement abgestritten worden, ohne dass das dann vor der Expertengruppe aber wissenschaftlich belegt werden konnte.

Kritikpunkte

Die Expertengruppe stellt unter anderem fest, dass ihr keine Informationen vorliegen, welche die Einschätzungen von Moormann und Benecke zu Wassereinbruchstörfällen im AVR und ihrem hohen Gefahrenpotential widerlegen. Das gilt damit auch für die Einschätzung von Moormann, dass die AVR-Auslegungsstörfälle mit Wassereinbruch wegen der überhitzten Kernbereiche nicht beherrscht werden konnten
überhitzte Kernbereiche bereits 1977 vermutet wurden, und bemängelt, dass diesem Problem erst 10 Jahre später nachgegangen wurde es noch immer keine befriedigende Erklärung für die überhitzten Bereiche im AVR gibt die überhitzten Bereiche im AVR vermutlich zur hohen Kontamination des Reaktors geführt haben; sie hält den besonders starken Anstieg um 1976 für ungeklärt illegale Manipulationen des Reaktorschutzsystems während des Wassereinbruchstörfalls 1978 stattgefunden haben nicht alle meldepflichtigen Ereignisse von AVR an die Aufsichtsbehörde gemeldet wurden und Meldungen häufig ein zu optimistische Einschätzung enthielten insbesondere die Einstufung des realen Wassereinbruchstörfalls 1978 in die am wenigsten gefährliche Kategorie C unangebracht war; vielmehr sei eine Einstufung in Kategorie B, eventuell sogar die höchste Kategorie A angemessen gewesen die angeblich günstigen Eigenschaften des Kugelbrennelementes zur Spaltproduktrückhaltung nicht hinreichend nachgewiesen sind, insbesondere betreffend Diffusion

Eine Kritik an der (mangelnden) Kritik

Kritisch zum Bericht möchte ich anmerken, dass Schlussfolgerungen aus den Defiziten nicht gezogen werden (z.B. Gefährdung durch den Betrieb). Allerdings sind die Schlussfolgerungen teilweise so naheliegend, dass ein Leser mit Vorkenntnissen sie auch selbst ziehen kann. Weiterhin anmerken möchte ich, dass die Entwarnung bezüglich radiologischer Folgen (Leukämiefälle bei Kindern um Jülich 1990-92) des AVR-Betriebs mir etwas voreilig erscheint. Der Bericht gibt nämlich andererseits zu erkennen, dass eine Umgebungsüberwachung auf radioaktive Emissionen von Tritium im Grundwasser und Trinkwasser bis 1995 nicht vorhanden war. Hier sind weitere Diskussionen notwendig.

Eine Wertung

Der Bericht ist insgesamt als großer Erfolg für die HTR-Kritiker zu werten, auch wenn er bei weitem nicht alle Aspekte abdeckt. Die Kugelhaufentechnik im derzeitigen Entwicklungsstand wird als weitgehend unbrauchbar dargestellt. FZJ steht natürlich in der Kritik und hat bereits Fehler und Versäumnisse sowie unzureichende Beachtung von Regeln zur guten wissenschaftlichen Praxis (salopp: Wissenschaftsbetrug) eingeräumt.
Als Debakel ist der Bericht für die früheren Betreiber des AVR zu werten, denen Versäumnisse und Fehler in einem Umfang vorgeworfen werden, wie sie bisher für deutsche AKW nicht bekannt geworden sind.
Noch problematischer erscheint die Rolle der Atomaufsichtsbehörde (die Untersuchung von deren Rolle gehörte allerdings nicht zum Untersuchungsauftrag der Expertengruppe): Es ist kaum anzunehmen, dass der gefährliche Charakter des AVR-Betriebs der Atomaufsicht verborgen geblieben ist. Vielmehr ist zu vermuten, dass sie die Interessen der Betreiber höher bewertet hat als das Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit und sich daher in Bezug auf die AVR-Sicherheitsprobleme „dumm gestellt“ hat.
Ein massives Glaubwürdigkeitsproblem ergibt sich für die Kugelhaufenlobby, insbesondere die Reaktortechniker von FZJ und RWTH, die nach wie vor die HTR-Technik auf AVR-Basis propagieren und entsprechende Reaktoren mit Steuergeldern entwickeln: Allein die Tatsache, dass wie oben geschildert, die Sicherheit des AVR zwar von der Lobby bis vor kurzem lautstark propagiert wurde, dann aber wissenschaftliche Belege nicht erbracht werden konnten, ist als Offenbarungseid zu werten; als Offenbarungseid nicht nur für die Technologie an sich, sondern auch für die wissenschaftliche Redlichkeit der Kugelhaufentechniker.
Es reicht nicht, dass das FZJ für die ferne Vergangenheit Wissenschaftsbetrug eingeräumt hat. Vermutete aktuellere Wissenschaftsbetrügereien auf dem Kugelhaufensektor, die durch den Expertenbericht untermauert werden, werden nämlich nicht korrekt untersucht sondern geduldet und damit letztlich gefördert.

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