AC goes blockupy
20. März 2015 | Veröffentlicht von kraz-Redaktion / ws, Keine KommentareTHIS is what democracy looks like!
Dieser Artikel basiert auf Berichten von Personen, die an BLOCKUPY, den dortigen Demonstrationen und an Blockaden am 18. März in Frankfurt a.M. teilgenommen haben. Der Text wurde von der kraz-Redaktion entsprechend zusammengefasst.
—- Der Augenzeugenbericht aus Frankfurt —-
Wir kommen morgens um kurz vor 7 in Frankfurt an. Als wir aus dem Auto steigen und um die erste Ecke biegen begrüßt uns der stechende Gestank brennender Autoreifen und Autos. Rauchschwaden hängen in der Luft.
Eine fast vollständig entglaste Sparkasse zu unserer Rechten und eine leergefegte Hauptverkehrsstraße vor uns. In der Ferne sehen wir von links einen Trupp Polizist*innen in unsere Richtung marschieren. In die Richtung müssen wir. Kurze Zeit später finden wir eine Brennblockade aus Autoreifen … neben einem Reifengeschäft. Die Feuerwehr ist dabei sich der Blockade anzunehmen.
Das erste ausgebrannte Luxusauto lässt nicht lange auf sich warten.
Wer sind wir?
Eine gemischte Gruppe von Anarchisten und Linken aus Aachen und Umgebung. Warum sind wir hier? Weil der Kapitalismus die Leben aller zerstört. Die Linken wollen ihren Klassenkampf, die Anarchopazifisten unter uns wollen Freiheit von Unterdrückung und Herrschaft, und zwar für alle.
Die erste Blockade
Bei der Blockade angekommen versuchen wir Richtung EZB zu laufen, doch die Straße vor uns ist voll mit den Soldaten des Kapitalismus. Sie Lösen ihre Formation und bilden eine menschliche Barrikade vor uns. Sie wollen uns nicht auf die öffentliche Straße lassen. 50 Meter hinter den Polizisten ist die eigentliche, offizielle, Barrikade, welche den neuen Palast der EZB schützt.
An der Stelle an der wir stehen, am Ostbahnhof, hat sich Die Linke versammelt und der (größtenteils italienische) Regenbogenblock mit blauen Jacken und bunten Mützen. Letzte laufen auf die Blockade der Polizei zu, doch werden sie wie wir gehindert weiterzulaufen. Es kommt zu keinen Ausschreitungen.
Eine weitere Blockade
An einer zweiten, größeren Blockade stoßen wir auf eine größere, durchwachsenere, Gruppe von Menschen. Mit Wasserwerfern und einem Panzer bewacht eine Polizeikette die mit Stacheldraht geschützte Metallbarrikade. Menschen die sich der Barrikade auch nur auf 10 Meter nähern werden aufgefordert sich zu entfernen.
Polizeiaktionen
Vor uns die EZB und die Truppen die sie beschützen. Plötzlich taucht in unserem Rücken ca. 80m die Straße herunter ein zweiter Polizeitrupp auf. Da wir nicht wissen was sie vor haben, bedienen wir uns der Materialien der nahegelegenen Baustelle und errichten eine Barrikade um bei einer eventuellen Einkesselung ein gewisses Maß an Kontrolle zu behalten. Kurz darauf zieht der Polizeitrupp am Ende der Straße weiter in Richtung Ostbahnhof. Der erste Sieg des Tages?
Der Platz füllt sich mit Demonstrierenden. Es sind viele Menschen. Ein kleinerer Trupp löst sich. Wieder auf einer Verbindungsstraße kommt uns ein weiterer Trupp Behelmter entgegen. Wie ihre Kolleg*innen in schwere Rüstung gehüllt und fast alle mit einer Maske die ihr Gesicht vermummt. Wir laufen direkt auf sie zu. Um kein Missverständnis zu provozieren bleiben wir stehen und warten bis sie an uns vorbeigezogen sind. Eine Person in unserer Gruppe hat ein Tuch vor dem Mund. Dies ist Grund genug, damit ein fast völlig vermummter Polizist im Vorbeilaufen dieser Person ins Gesicht fasst und das Tuch herunterreißt. Ein Kollege brüllt es sei illegal. Er ist durch seine Maskierung hindurch aber etwas schwer verständlich. Ein dritter tritt gegen unsere Fahnenstangen und Beine.
Wir mutmaßen, dass dies wohl unsere Freunde und Helfer sein müssen, von denen wir immer hören.
Zum Römerplatz
Kurz nach 11 Uhr brechen wir auf Richtung Römerplatz, wo später eine Kundgebung anfangen soll und wo am Nachmittag der Demonstrationszug losgehen soll. Die gleiche Hauptverkehrsstraße von heute morgen. Straßenbahnhaltestellen mit sexistischer oder nationalistischer Werbung wurden eingeschlagen. Überall liegen Teile des Sicherheitsglases. Werbetafeln sind entweder übersprüht oder abgerissen. Die ganze Straße ist voll mit den Überresten der zerstörten Propaganda. Glas, Fetzen von Plakaten, Konfetti. Ausgebrannte Plastik-Container von denen nur noch Asche und die Rollen übrig sind. Wir stellen uns vor, wie es für die Menschen in anderen Ländern, deren Leben durch unsere kapitalistische Hegemonialstellung systematisch zerstört wurden wohl ist, jeden Tag in so einem Kriegsgebiet zu leben. Wir dürfen heute Abend wieder ins friedliche Aachen fahren, der Rest der Welt hat dieses Privileg nicht.
Der Kessel
Vor uns ist eine große Traube an Demonstrierenden — wir können nicht genau hören was dort los ist, aber irgendwas geht vor sich. Polizisten marschieren auf die Traube zu: Auf der anderen Seite der Straße auf der wir uns befinden. Lautes „Haut ab! Haut ab!“ aus der Menschentraube.
Was ist los?
Ca. hundert Meter weiter hat die Polizei beschlossen eine Gruppe von 200 Protestierende einzukesseln, welche den Weg aus Italien auf sich genommen hatten um mit uns gemeinsam für globale Gerechtigkeit zu demonstrieren. Die Straße zu diesem Kessel ist komplett abgeriegelt. Hier bahnt sich gerade ihre Verstärkung den Weg zur Barrikade. Eine offensichtliche Provokation. Spontan hat sich also der Tagesablauf geändert. Wir sind solidarisch mit allen Protestierenden. Wir bleiben hier. Bis alle frei sind!
Ein Lautsprecherwagen spielt Musik und gibt der Menge von Menschen Informationen über die Eingekesselten.
Ohne Grund werden diese festgehalten. Zufall oder nationalistische Vorurteile, dass die Polizei sich eine Gruppe aus dem Ausland greift?
Die große Menge ist entschlossen, wir lassen niemanden im Stich. Eine Front aus Demonstrierenden und Polizei bildet sich und Schaum-Matten werden nach vorne Transportiert. Wir sind auf Prügel und die Macht des Staates vorbereitet aber wir lassen uns nicht einschüchtern.
Inzwischen hören wir, dass von einzelnen Menschen im Kessel die Personalien aufgenommen werden und sie anschließend freigelassen werden. Eine Person nach der Anderen. Wir können nichts für die Gefangenen tun als lautstark unsere Unterstützung zu rufen.
Heute morgen sahen wir alle möglichen Fahnen und Zugehörigkeiten. Doch wer ist jetzt geblieben und wer nicht? Der Schwarze Block ist da, klar. AntiFa und AntiSpe sowie Bürger, welche sich nicht zuordnen lassen. Die zahlreichen Flaggen Der Linken, linksjugend’solid und Gewerkschaften sind aber plötzlich spurlos verschwunden, genauso wie die Linken die uns bisher begleitet haben; In Sicherheit kluge Reden schwingen und „solid“ sein kann jede*r. Doch Solidarität ist dann wichtig, wenn sie unbequem ist und es um was geht.
Wir rufen „Eins, zwei, drei! Lasst sie frei!“ und „Ein Hoch auf die inter-/antinationale Solidarität“ — immer wieder. Ähnliche Forderungen auf italienisch.
Unerwartet macht die Polizei einen Ausfall und stürmt in die Menge hinein. Pfefferspray wird in die Luft gesprüht und die bisher friedlichen Menschen zurückgedrängt. Was Ziel dieser Aktion war bleibt auch im Nachhinein rätselhaft, aber wir bleiben wo wir sind. Mehr von uns stürmen mit erhobenen Händen nach vorne. Die Symbolik: Friedlich aber bestimmt.
Die Polizei eskaliert gezielt und will Auseinandersetzungen provozieren. Dann, als sie nicht zurückweichen, werfen Protestierende erste Flaschen und leichte Gegenstände nach den Aggressoren. Sie merken, dass sie sich übernommen haben und weichen zurück. Eine ganze Weile später sind die meisten aus dem Kessel entlassen worden. Wir unterstützen die anderen weiter durch Zurufe und Musik. Wir gehen hier nur alle gemeinsam weg!
Die Kundgebung
Nachdem die letzte Person aus dem Kessel frei ist, lösen wir uns auf und laufen lose Richtung Kundgebungsort. Die Straßen sind voll mit Protest: „A-Anti-Anticapitalista!“
Die Linken haben ihren Werbestand vor der Kundgebung aufgebaut und wir ziehen in die Stadt um Nebendemonstrationen zu finden; Jackpot.
Ein Block der „Rythms of Resistance“, erkennbar an ihrer pink/silbernen Kostümierung, trommelt auf der Haupteinkaufsstraße um die Passant*innen auf den Protest gegen die EZB und den Kapitalismus aufmerksam zu machen. Es hat sich eine Traube von Menschen gebildet die der Musik zuhören. Ein Dutzend grün gerüstete Polizisten scheint da ein Problem mit zu haben, drückt zwei, drei Personen der Trommelgruppe gegen eine Fassade und hält sie fest. Ein Polizist schlägt mit dem Knüppel auf eine unbeteiligte Passantin und stößt sie zu Boden. Sie hatte die Musik mit ihrem Handy aufgenommen, welches neben sie auf den Boden fiel. Sie weinte und war irritiert. Ich ziehe sie aus dem Strom aus empörten Menschen die auf den Kessel zuströmt und versuche sie zu beruhigen. Leider haben wir das Gesicht des Polizisten nicht gesehen. Um uns „Haut ab! Haut ab! Haut ab! Haut ab!“ ohne Unterlass. Wir stimmen ein. Es werden immer mehr Menschen. Alle rufen und schreien. „Lasst sie frei“.
Die Polizei ist verunsichert. Die Beamten haben buchstäblich Schweiß auf der Stirn. Sie ziehen ab. Die Festgesetzten sind frei. Lauter Jubel. Wir haben gewonnen.
Friedlich ziehen wir mit der Trommelgruppe weiter: „A. Anti. Anticapitalista“ — „Staat, Nation, Kapital; Scheiße!“.
Die Hauptdemonstration
Es ist 17 Uhr; Die Hauptdemonstration fängt an. Über 17 tausend Menschen laufen bei der Demonstration mit. Zuzüglich Passant*innen und solche die sich spontan anschließen. Ob Autonomer Schwarzer Block, Linke, Partywagen, Gewerkschaft, PARTEI, Rainbow Block, Anarchisten, Tierbefreiungsblock oder die pink/silbernen Rythms of Resistance. Alle ziehen nun an einem Strang. Protest gegen den Kapitalismus, gegen die EZB. No Troika! Für gesellschaftliche Gerechtigkeit.
Die Polizei säumt den gesamten Demonstrationsweg an beiden Rändern mit Behelmten, Wasserwerfern und mehreren Panzern. Im Vorbeilaufen zeigen wir auf sie und singen:
„THIS is what democracy looks like!“
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